36
von Casino Hille
'Q Branch' - MODERATOR
Oldboy
Ein preisgekrönter Manga aus dem Japan der 80er Jahre diente dem Regisseur Park Chan-wook 2003 als Vorlage für "Oldboy" - dem vielbeachteten zweiten Teil seiner Rache-Trilogie, die ein Jahr zuvor mit "Sympathy for Mr. Vengeance" ihren Anfang nahm. Inhaltlich von seinem nur durchs Thema Vergeltung verwandten Vorgänger unabhängig, erzählt "Oldboy" erneut von Verlust, Rache, Hass und Perspektivlosigkeit. Brutal, schonungslos und komplex aufbereitet entführt Park sein Publikum in eine Welt, die keiner Sinnhaftigkeit zu Grunde zu liegen scheint, in der Mord, Selbstverstümmelung und Totschlag so nötig wie Essen und Schlaf erscheinen. Es ist eine Welt, in die niemand sich freiwillig begibt - "Oldboy" ist damit weit davon entfernt, als Unterhaltungsmedium bezeichnet werden zu können. Nein, "Oldboy" bereitet körperliche und psychische Schmerzen, "Oldboy" vollendet das, was Park bereits im ersten Teil immer wieder sequenzartig gelang: Er wird zur Zelebrierung von Folter, zum einem eigenartigen Sog aus abstoßenden Reaktionen, die nicht jeder Zuschauer bis zum Ende durchhalten wird.
Park gelingt mit "Oldboy" eines der effektvollsten Intros der Filmgeschichte. Die ersten 15 Minuten (in denen 15 Jahre erzählt werden) sind ein einziger pechschwarzer und depressiver Albtraum, in denen die Kamera wie besessen einen einzigen Gewaltakt dermaßen ausdehnt, dass zusätzlich zur beängstigend spürbaren Faszination am Unerträglichen Nebenwirkungen wie Übelkeit und Schwindel auftreten können. Wenn Hauptdarsteller Choi Min-sik auf winzigem Raum eingesperrt durch die Hölle geht, leidet man nicht nur, es scheint einen regelrecht aufzufressen. In diesen Momenten ist "Oldboy" die direkteste Filmerfahrung, die man machen kann und pure verstörende Ästhetik, so rein geformt, dass es nicht auszuhalten ist. Der allzu oft inflationär verwendete Begriff der Brillanz erfährt hier seine eigentliche Definition - und bricht "Oldboy" damit das eigene Genick. Es ist der absolute Superlativ, mit dem Park seinen Film eröffnet, kafkaesk, einzigartig. So verliert die Erzählung jede Möglichkeit, sich noch einmal zu steigern und wenig überraschend gelingt dies auch nicht. Doch hier steckt noch nicht das wahre Problem der Inszenierung. "Oldboy" will eine Ballade über die niedersten menschlichen Triebe sein sowie ein Konstrukt, dass die erschreckende Unverhältnismäßigkeit von Zivilisation und Animalismus portraitiert. Und genau so ist er geworden: konstruiert, zerpflückt, unverhältnismäßig.
Visuell ist Park begnadet wie versiert: Stilmittel unterschiedlichster Art wendet er zielsicher an, geht mit Totalen wie extremen Nahaufnahmen ohne jegliche Mühen um und hat ein bemerkenswertes Gespür für Tiefenverhältnisse, kann klaustrophobische wie allumfassende Raumeindrücke visuell perfekt vermitteln. So sind es besonders diese Kniffe und aufeinander abgestimmten Zahnrädchen der Erzählung, abgeschmeckt mit einem gekonnt (vielleicht etwas zu prätentiös lautem) Score von Cho Young-wuk. Es ist die inhaltliche Komponente, an der "Oldboy" zunehmend zu scheitern anfängt. Mit ansteigender Spannungskurve wird die Handlung deutlich umfangreicher, komplexer, vielschichtiger - ohne dahinter tatsächlich etwas zu verbergen. Der eindeutige mystische Charakter der Erzählung steigert sich in eine immer verworrenere Montage unterschiedlicher Gräueltaten und dahinter steckt...? Gar nichts? Es kommt einem wie Hohn vor, wenn im letzten Drittel mit erstaunlicher Regelmäßigkeit ein Twist den nächsten jagt und an einer Stelle sogar die gesamte bisherige Geschichte komplett auf den Kopf stellt, um... ja, was eigentlich zu erreichen? "Oldboy" scheint hin und wieder als Versuch gedacht zu sein, die von ihm als "sinnlos" erkannte Brutalität eines hasserfüllten Mätyritums auf extreme Ausstiegssituationen oder gar alternative Bewältigungsmethoden hin zu untersuchen, allerdings steht dem eine letzte halbe Stunde gegenüber, die sich selbst im puren Fatalismus ertränkt und kalte Ästhetik predigt. Ein bemerkenswerter Entschluss ist dies auf jeden Fall, doch emotional will diese Rechnung beim besten Willen nicht aufgehen.
Selbiges gilt für Parks größte Stärke im Umgang mit der eigens ein zweites Mal auferlegten Thematik: Neutralität. Wenn Protagonist Oh Dae-su mit einem Hammer Zähne aus den Mäulern seiner Opfer zieht, wenn Zungen abgeschnitten und Hände abgetrennt werden, dann geschieht all das nie als voyeuristischer Exkurs oder verherrlichendes Spektakel, sondern ist das was es ist: Abgefilmte Exzesshaftigkeit, die durch ihre filmisch unkommentierte Art erst wirklich zur Grausamkeit wird. Jedoch ist gerade diese emotionslose Ader dafür verantwortlich, wenn einem der ganz große Knalleffekt der Handlung nicht zu packen weiß - schlicht und ergreifend deshalb, weil die Figuren fremd bleiben, sie bleiben (trotz der wirklich eindringlichen Darsteller) Strichmännchen auf zweidimensionaler Ebene. Einzig den ambivalent gehaltenen Antagonisten kann Parks Inszenierung im Zusammenspiel mit dem Akteur Yoo Ji-tae die Aura der Dreidimensionalität sichern, nur um ihn im Ende in der Gigantomanie des klassischen "James Bond"-Schurken zu versäuern. Auch dies ist visuell gerne ein Fest am Spiel mit den Sehgewohnheiten, verflacht dafür aber zum entrückten dramaturgischen Scheiterhaufen, der nur deshalb nicht völlig lahmt, weil der Stil ohnehin die eigentliche Substanz sein will. Dem Filmfreund wird dabei das Wasser im Mund zusammenlaufen - die Frage ist, ob ihm dies zwangsläufig gefallen wird. So wie der eine die Dunkelheit fürchtet, fürchtet ein anderer das Licht und so wie der eine "Oldboy" vergöttert, wird der nächste ihn verstoßen müssen.
Fazit: Visuell ein Meisterwerk? Vielleicht. "Oldboy" ist eine einmalige Sinneserfahrung, die ihren Tribut fordert und sein Publikum spalten wird... vermutlich auch will. Es ist ein gewählter und einprägsamer filmischer Ausdruck eines Ausnahme-Regisseurs, der von seiner Handschrift eindeutlich gezeichnet ist, diese aber auch über alles andere stellt. Hier liegt die Tücke der Bilderflut, die als unorganische Stücksetzung in Erinnerung bleibt: Inszenatorisch hüllt Park einen Graben aus, den der Inhalt nicht füllen kann. Begeistert schaut man unter die Oberfläche und findet ... nichts. So ist "Oldboy" leider als einzige bedeutungsschwangere Hybris nur allzu leicht zu enttarnen, beeindruckt aber durch seine Kompromisslosigkeit und den hauseigenen Umgangston, die ihrem erzeugtem Schmerz kein Subjekt gelungen beimengen kann.
5/10
https://filmduelle.de/
Let the sheep out, kid.