Der David Lean Thread
Verfasst: 9. April 2018 11:23
Sir David Lean (1908-1991) ging vor allem in die Filmgeschichte ein als Meister des großangelegten Epos. Mit Die Brücke am Kwai, Lawrence von Arabien und Doktor Schiwago feierte er in den 50er und 60er Jahren grandiose Triumphe und legte einen kommerziell als auch künstlerisch wohl seinesgleichen suchenden Hattrick hin. Sein zielsicheres Gespür für atmosphärische Stimmung und einmalige Bildgestaltung machten ihn zum Vorbild für viele andere Regisseure. So pries ihn beispielsweise Stanley Kubrick mit den Worten: “There are very few directors, about whom you’d say you automatically have to see everything they do. I’d put Fellini, Bergman and David Lean at the head of my first list.”. Grund genug diesem Ausnahmeregisseur einen eigenen Thread zu spendieren, zumal jüngst einige seiner Filme auf meinem Programm standen.
Ich hab über Ostern und dieses WE mal wieder zwei von Leans großen Epen geschaut. Mit Lawrence von Arabien werd ich einfach nicht so recht warm. Fraglos ein grossartig gefilmtes Werk mit toller Ausstattung, einem superben Soundtrack und hochkarätigen Darstellern, aber für mich leider auch dramaturgisch nicht immer zufriedenstellend und vor allem in der zweiten Filmhälfte mit unübersehbaren Hängern und Längen. Obwohl ich lange Filme liebe muss ich leider konstatieren, dass mir Lawrence aufgrund der genannten Kritikpunkte dann einfach zu lange ist. Wobei ich erstaunlichweise die gleichen Probleme bereits bei Erstsichtung hatte und die war seinerseits noch in der deutlich kürzeren deutschen Kinofassung (mit irgendwo um die 190 Minuten immerhin rund 40 Minuten kürzer als der DC). Ich finde Lean ist die erste, sehr abenteuer- und romantik- (nicht im Sinne von Liebesfilm, sondern in Bezug auf die romatisierende Darstellung der Würste und Arabien generell)lastige erste Hälfte wesentlich besser geglückt als die zweite Hälfte, die sich in erster Linie mit den weltpolitischen Ränkespielen und der damit verbundenen Dekonstruktion der zunächst so strahlenden Figur Lawrence befasst.
Daher ist es dann eigentlich auch nicht verwunderlich, dass mir Die Brücke am Kwai deutlich besser gefällt, da der Abenteueraspekt hier durchgängig mehr im Fokus steht bzw. stimmiger mit Leans scharfem Blick auf Militarismus- und Charakterstudie verwoben ist. Eine so starke Zweiteilung wie bei Lawrence gibt es bei Kwai nicht, Kwai ist stilistisch sehr homogen. Besonders erstaunlich finde ich es, dass der Film trotz der auch nicht gerade knapp bemessenen Laufzeit von über 160 Minuten zu keinem Moment auch nur den Hauch einer Länge aufweist, die Handlung entwickelt sich stetig und logisch fort und verknüpft im Finale die vielen zuvor separat nebeeinanderlaufenden Handlungs- und Figurenelemente auf grossartige Art und Weise. Kwai mag nicht ganz die Armada an fotografischem Eyecandy aufbieten wie Lawrence, hat aber dennoch ebenfalls viele sehr eindrucksvolle Einstellungen an Bord wie etwa die Fledermaus-Sequenz.
Diese Tendenz setzt sich meiner Ansicht nach auch auf den Gebieten Soundtrack und Darsteller fort, auf beiden Gebieten ist Kwai nicht ganz so reichhaltig und ausschweifend wie Lawrence, dafür aber mindestens genau so effektiv. Im Gegensatz zum gefühlten Massenauflauf an schauspielerischen Hochkarätern in Leans Wüstenepos konzentriert sich Kwai auf die vier Schlüsselfiguren und ihre Darsteller Jack Hawkins, Sessue Hayakawa, Alec Guinness und William Holden. Alle vier Darsteller spielen grossartig auf, besonders nachhaltig bleiben jedoch die Leistungen von Guinness und Holden in Erinnerung. Holden wird dabei gerne angesichts der legendären (und zurecht) oscarprämierten Darbietung von Guinness etwas vergessen, ist aber in meinen Augen mindestens ebenbürtig anzusehen, da er als Identifikationsfigur den Film mühelos auf seinen Schultern trägt und seine lockere Gewandheit viel zum extrem hohen Unterhaltungsfaktor beiträgt. Man könnte es platt runterbrechen: Holden ist der Fixpunkt für den Unterhaltungswert, während Guinness für den „Anspruch“ zuständig ist. Reichlich platt, zugegeben, aber im Kern denke ich recht nah an der Sache dran. Erstaunlich ist in diesem Zusammenhang auch, wie Lean es mit Guinness Nicholson-Figur schafft den Zuschauer emotional zunächst sehr eng an diese zu binden, obwohl dessen Verhalten von Anfang an recht fragwürdig ist, um dem Zuschauer dann im Verlauf des Films mehr und mehr vor Augen zu führen, welche Folgen kompromisslose Prinzipienreiterei haben kann.
Lawrence von Arabien 8 / 10
Die Brücke am Kwai 9,5 / 10
Filmografie zu David Lean:
1942: In Which We Serve – (zusammen mit Noël Coward)
1944: Wunderbare Zeiten (This Happy Breed)
1945: Geisterkomödie (Blithe Spirit)
1945: Begegnung (Brief Encounter)
1946: Geheimnisvolle Erbschaft (Great Expectations)
1948: Oliver Twist (Oliver Twist)
1949: Die große Leidenschaft (The Passionate Friends)
1950: Madeleine (Madeleine)
1952: Der unbekannte Feind (The Sound Barrier)
1954: Herr im Haus bin ich (Hobson’s Choice)
1955: Traum meines Lebens (Summertime)
1957: Die Brücke am Kwai (The Bridge on the River Kwai)
1962: Lawrence von Arabien (Lawrence of Arabia)
1965: Doktor Schiwago (Doctor Zhivago)
1970: Ryans Tochter (Ryan's Daughter)
1979: Lost and Found: The Story of Cook's Anchor (TV)
1984: Reise nach Indien (A Passage to India)
Ich hab über Ostern und dieses WE mal wieder zwei von Leans großen Epen geschaut. Mit Lawrence von Arabien werd ich einfach nicht so recht warm. Fraglos ein grossartig gefilmtes Werk mit toller Ausstattung, einem superben Soundtrack und hochkarätigen Darstellern, aber für mich leider auch dramaturgisch nicht immer zufriedenstellend und vor allem in der zweiten Filmhälfte mit unübersehbaren Hängern und Längen. Obwohl ich lange Filme liebe muss ich leider konstatieren, dass mir Lawrence aufgrund der genannten Kritikpunkte dann einfach zu lange ist. Wobei ich erstaunlichweise die gleichen Probleme bereits bei Erstsichtung hatte und die war seinerseits noch in der deutlich kürzeren deutschen Kinofassung (mit irgendwo um die 190 Minuten immerhin rund 40 Minuten kürzer als der DC). Ich finde Lean ist die erste, sehr abenteuer- und romantik- (nicht im Sinne von Liebesfilm, sondern in Bezug auf die romatisierende Darstellung der Würste und Arabien generell)lastige erste Hälfte wesentlich besser geglückt als die zweite Hälfte, die sich in erster Linie mit den weltpolitischen Ränkespielen und der damit verbundenen Dekonstruktion der zunächst so strahlenden Figur Lawrence befasst.
Daher ist es dann eigentlich auch nicht verwunderlich, dass mir Die Brücke am Kwai deutlich besser gefällt, da der Abenteueraspekt hier durchgängig mehr im Fokus steht bzw. stimmiger mit Leans scharfem Blick auf Militarismus- und Charakterstudie verwoben ist. Eine so starke Zweiteilung wie bei Lawrence gibt es bei Kwai nicht, Kwai ist stilistisch sehr homogen. Besonders erstaunlich finde ich es, dass der Film trotz der auch nicht gerade knapp bemessenen Laufzeit von über 160 Minuten zu keinem Moment auch nur den Hauch einer Länge aufweist, die Handlung entwickelt sich stetig und logisch fort und verknüpft im Finale die vielen zuvor separat nebeeinanderlaufenden Handlungs- und Figurenelemente auf grossartige Art und Weise. Kwai mag nicht ganz die Armada an fotografischem Eyecandy aufbieten wie Lawrence, hat aber dennoch ebenfalls viele sehr eindrucksvolle Einstellungen an Bord wie etwa die Fledermaus-Sequenz.
Diese Tendenz setzt sich meiner Ansicht nach auch auf den Gebieten Soundtrack und Darsteller fort, auf beiden Gebieten ist Kwai nicht ganz so reichhaltig und ausschweifend wie Lawrence, dafür aber mindestens genau so effektiv. Im Gegensatz zum gefühlten Massenauflauf an schauspielerischen Hochkarätern in Leans Wüstenepos konzentriert sich Kwai auf die vier Schlüsselfiguren und ihre Darsteller Jack Hawkins, Sessue Hayakawa, Alec Guinness und William Holden. Alle vier Darsteller spielen grossartig auf, besonders nachhaltig bleiben jedoch die Leistungen von Guinness und Holden in Erinnerung. Holden wird dabei gerne angesichts der legendären (und zurecht) oscarprämierten Darbietung von Guinness etwas vergessen, ist aber in meinen Augen mindestens ebenbürtig anzusehen, da er als Identifikationsfigur den Film mühelos auf seinen Schultern trägt und seine lockere Gewandheit viel zum extrem hohen Unterhaltungsfaktor beiträgt. Man könnte es platt runterbrechen: Holden ist der Fixpunkt für den Unterhaltungswert, während Guinness für den „Anspruch“ zuständig ist. Reichlich platt, zugegeben, aber im Kern denke ich recht nah an der Sache dran. Erstaunlich ist in diesem Zusammenhang auch, wie Lean es mit Guinness Nicholson-Figur schafft den Zuschauer emotional zunächst sehr eng an diese zu binden, obwohl dessen Verhalten von Anfang an recht fragwürdig ist, um dem Zuschauer dann im Verlauf des Films mehr und mehr vor Augen zu führen, welche Folgen kompromisslose Prinzipienreiterei haben kann.
Lawrence von Arabien 8 / 10
Die Brücke am Kwai 9,5 / 10
Filmografie zu David Lean:
1942: In Which We Serve – (zusammen mit Noël Coward)
1944: Wunderbare Zeiten (This Happy Breed)
1945: Geisterkomödie (Blithe Spirit)
1945: Begegnung (Brief Encounter)
1946: Geheimnisvolle Erbschaft (Great Expectations)
1948: Oliver Twist (Oliver Twist)
1949: Die große Leidenschaft (The Passionate Friends)
1950: Madeleine (Madeleine)
1952: Der unbekannte Feind (The Sound Barrier)
1954: Herr im Haus bin ich (Hobson’s Choice)
1955: Traum meines Lebens (Summertime)
1957: Die Brücke am Kwai (The Bridge on the River Kwai)
1962: Lawrence von Arabien (Lawrence of Arabia)
1965: Doktor Schiwago (Doctor Zhivago)
1970: Ryans Tochter (Ryan's Daughter)
1979: Lost and Found: The Story of Cook's Anchor (TV)
1984: Reise nach Indien (A Passage to India)