Getting Away With It – Die Filme des Richard Lester

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Wie perfekt, dass die ultimative Lektüre zur Regie-Personalie Richard Lester mit dem schönen Titel "Getting Away With It" von niemand geringerem als Steven Soderbergh stammt. Das Buch ist ein Gespräch zwischen den beiden Regisseuren, an sich, in Wahrheit aber ist es vor allem Lester, der über seine Arbeit spricht, über sein Leben und Wirken reflektiert und dem jüngeren "geistigen Nachfolger" wertvolle Tipps mit an die Hand gibt. Soderbergh hat viel von Lester: Ihnen beiden ist gemein, dass sie sich in vielen Genres und Spielarten ausgetobt haben, sich nie auf einen Stil oder eine Tonalität festlegen ließen. Lester begann seine Karriere als Fernsehregisseur bei der BBC in den 1950er Jahren, wo er an einer Reihe von Comedy-Sketch-Shows arbeitete. Während alle versuchten, herauszufinden, was das Fernsehen genau war, was es sein konnte und was darin an Leistung herauszuholen war, hatte Lester freie Hand, mit dem Format zu experimentieren, was ihm einen gewissen Vorteil verschaffte.

Sein erster größeren Film war eine Fortsetzung der Komödie "Die Maus, die brüllte" von Jack Arnold, und auch wenn "Auch die Kleinen wollen nach oben" (mit Margaret "Miss Marple" Rutherford) nicht an das Original heranreichte, zeigte sich schon da Lesters Talent für die kluge Setzung von Pointen. Dann wurde er auf dem Höhepunkt der Beatle-Manie für die Regie von "A Hard Day's Night" (zu Deutsch: "Yeah! Yeah! Yeah!") engagiert, was schließlich seine Karriere begründen sollte. Seine schräge Herangehensweise an einen Beatles-Film (er inszenierte ihn als eine Art Kunstfilm-Fake-Doku) inspirierte später zahlreiche Musikfilme und schlug beim Publikum wie eine Bombe ein. Lester war hiner der Kamera ein Spielkind und so sah er sich selbst: Er liebte es zu improvisieren, etwas auf der Stelle zu reparieren war sein sprichwörtliches Kokain. Er inszenierte noch einen zweiten Beatles-Film namens "Help!" (zu Deutsch: "Hi-Hi-Hilfe!"), und es dürfte bei einem Regisseur wie Lester nicht verwundern, dass er sich nicht einfach wiederholte, sondern ein Potpurri an schrägen und höchst originellen Einfällen präsentierte.

Seine Filmografie ist bunt und schwer in wenigen Worten einzuordnen. Am besten erwartete man bei ihm das unerwartete: 1965 verfilmte er das grandiose Broadway-Musical "Toll trieben es die alten Römer" von Stephen Sondheim (Originaltitel: "A Funny Thing Happened on the Way to the Forum"), und schuf den wohl einzigen Film, der Sondheim je wirklich gerecht wurde. Zwei Jahre später entstand seine satirische Tragikomödie "Wie ich den Krieg gewann", u.a. mit John Lennon besetzt, und entpuppte sich als Popavantgarde der allerbesten Art mit deutlicher Antikriegsbotschaft. In den 70ern verschrieb er sich dem Abenteuerfilm: Sein Zweiteiler "Die drei Musketiere" und "Die vier Musketiere" war üppig ausgestattet und namhaft besetzt (u.a.: Christopher Lee, Oliver Reed, Richard Chamberlain, Raquel Welch, Faye Dunaway, Charlton Heston, Michael York), und mixte hemmungslos verschiedene Tonalitäten, vom lockeren Slapstick bis hin zu den tragischen Elementen der Romanvorlage von Alexandre Dumas.

Den humoristischen Esprit behielt er für "Royal Flash" bei, eine albern-verquere Persiflage auf Otto von Bismarck, ehe er die Tragik in "Robin und Marian" wieder in den Vordergrund rückte: Seine intellektuelle Dekonstruktion des Robin-Hood-Kinos (wieder stark besetzt, es wirken etwa Sean Connery, Audrey Hepburn, Robert Shaw und Richard Harris mit) fiel nicht in die Mantel-und-Degen-Filmgattung seiner drei vorherigen Filme, sondern griff den bekannten Mythos auf, um eine traurige Parabel auf das Grauen des Vietnamkriegs zu erzählen. Robin Hood entpuppt sich als schwer traumatisierter Mann, der seiner Marian seine Gräueltaten in den Kreuzzügen beichtet und der sonst oft edel dargestellte Richard Löwenherz zeigt sich als unmenschlicher Tyrann, der Sheriff von Nottingham wirkt dagegen gar sympathisch, zumindest aber menschlich und in seinem Verhalten glatt nachvollziehbar.

Lester war später noch an den Blockbustern "Superman II" und "Superman III" beteiligt, wagte sich mit "Butch & Sundance – Die frühen Jahre" an die Fortführung eines Klassikers, inszenierte zudem ein weiteres Mal Sean Connery im gespalten aufgenommenen Polit-Melodram "Explosion in Cuba" und ließ sich schließlich ein drittes Mal auf die Musketiere ein: "Die Rückkehr der Musketiere" sollte 1989 sein letzter Spielfilm werden (nur der Konzertdokumentarfilm "Get Back" mit Paul McCartney folgte noch zwei Jahre später). Bei den Dreharbeiten fiel sein guter Freund, der Schauspieler Roy Kinnear von einem Pferd und verletzte sich schwer, verstarb kurz darauf an seinen Verletzungen. Lester zog daraus Konsequenzen. Im Gespräch mit Soderbergh stellt er aber noch eine zweite Begründung für das selbstbestimmte Karriere-Aus dar: Er hatte bereits A probiert, er hatte bereits B probiert, er hatte bereits C probiert und schließlich war es an der Zeit aufzugeben.

Selbst sein glühender Verehrer Steven Soderbergh findet nur schwer Worte, um die Filme von Richard Lester vereinigend zu besprechen. Doch wohl am ehesten lässt sich über Lesters Kino sagen: Er versuchte sich an der problemlösenden Seite des Mediums. Wo der Dramaturg nach Konflikten suchte, ging es Lester im Kern stets um die Konfliktlösung. Und angesichts seiner vielen gelungenen Filme und entsprechenden Erfolge bei Kritik und Publikum kann man wohl feststellen: Er ist damit davongekommen.

Die Filme des Richard Lester:

1962: Twen-Hitparade
1963: Auch die Kleinen wollen nach oben
1964: Yeah! Yeah! Yeah!
1965: Der gewisse Kniff
1965: Hi-Hi-Hilfe!
1965: Toll trieben es die alten Römer
1967: Wie ich den Krieg gewann
1968: Petulia
1969: Danach
1973: Die drei Musketiere
1974: Die vier Musketiere
1974: 18 Stunden bis zur Ewigkeit
1975: Royal Flash
1976: Robin und Marian
1976: Der Mörder lauert in der Sauna
1979: Butch & Sundance – Die frühen Jahre
1979: Explosion in Cuba
1980: Superman II – Allein gegen alle
1983: Superman III – Der stählerne Blitz
1984: Der Chaos-Express
1988: Die Rückkehr der Musketiere
1991: Paul McCartney’s Get Back
https://filmduelle.de/

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Re: Getting Away With It – Die Filme des Richard Lester

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Ach, das ist ja mal ein interessanter Buch-Tipp.
Lester gehört zu den Regisseuren von denen ich fast jeden Film kenne (2 fehlen), der auch mal sehr einflussreich und erfolgreich war, der aber heute gefühlt kaum noch beachtet wird. Das klingt jedenfalls nach einem spannenden Interview zu einem etwas disparaten Gesamtwerk.

1962: Twen-Hitparade -
1963: Auch die Kleinen wollen nach oben 6/10
1964: Yeah! Yeah! Yeah! 8
1965: Der gewisse Kniff 8
1965: Hi-Hi-Hilfe! 8
1965: Toll trieben es die alten Römer 8
1967: Wie ich den Krieg gewann 8
1968: Petulia 9
1969: Danach 8
1973: Die drei Musketiere 8
1974: Die vier Musketiere 8
1974: 18 Stunden bis zur Ewigkeit 7
1975: Royal Flash 6
1976: Robin und Marian 8
1976: Der Mörder lauert in der Sauna -
1979: Butch & Sundance – Die frühen Jahre 5
1979: Explosion in Cuba 6
1980: Superman II – Allein gegen alle 6
1983: Superman III – Der stählerne Blitz 4
1984: Der Chaos-Express 4
1988: Die Rückkehr der Musketiere 5
Zuletzt geändert von Maibaum am 19. Mai 2023 13:57, insgesamt 1-mal geändert.

Re: Getting Away With It – Die Filme des Richard Lester

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Ja, Lester ist heute wirklich traurigerweise ziemlich in Vergessenheit geraten, dabei ist sein Werk auf einem durchgängig hohen Niveau. Hinzu kommt, dass er sich sehr selbstverständlich in den unterschiedlichsten Genres bewegt hat, ohne erkennbare Qualitätseinbußen. Wie der eine oder andere hier mitlesende vielleicht schon weiss ( :lol: ) bin ich gerade auch ein großer Fan und Bewunderer seiner Musketier-Verfilmungen. Die Filme spiegeln in gewisser Weise auch sein gesamtes Oeuvre wieder, da es ihm hier wie kaum einem anderen Filmemacher gelingt das komplette Spektrum von albernem Slapstick bis hin zu seriösem Drama überzeugend zu bedienen. Die Art und Weise, wie er hier in Papierform eigentlich komplett widersprechende Komponenten verbindet ist bemerkenswert und wie gesagt in dieser qualitativen Ausprägung vielleicht sogar beispiellos. Findet man bei Teil 1 noch Hinweise darauf, dass die Filme ursprünglich eigentlich als ein Werk geplant waren (durch die eine oder andere kleine Länge in der zweiten Filmhälfte), so ist Teil 2 dann wirklich wie aus einem Guss und eine einzige Freude. Schön auch, dass ihm 15 Jahre später mit Teil 3 ein zwar qualitativ etwas hinter den Originalen bleibender, aber dennoch immer noch Spass machender Nachschlag gelang.
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Re: Getting Away With It – Die Filme des Richard Lester

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Ich fand die späte Musketier Fortsetzung relativ enttäuschend, da blieb für mich nicht mehr viel übrig von dem cleveren Einfallsreichtum der Vorgänger (die ja tatsächlich eigentlich nur ein Film sind, jedenfalls als solcher gedreht wurden). Wie er überhaupt nach Robin & Marian schnell abbaute.

Royal Flash müsste ich noch mal schauen, den blieb damals auch unter meinen Erwartungen (ich kenne allerdings nur die gekürzte deutsche Fassung) , und das Butch Cassidy Prequel war erstaunlich einfallslos.
Zuletzt geändert von Maibaum am 17. Mai 2023 17:18, insgesamt 1-mal geändert.

Re: Getting Away With It – Die Filme des Richard Lester

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Der 3. Musketier ist halt ein später Nachschlag, dem man anmerkt, dass deutlich weniger Geld zur Verfügung stand und alle Beteiligten schon etwas in die Jahre gekommen sind. Aber gerade letzteres finde ich erzeugt einen ganz eigenen Charme, da die alten Kempen immer noch gerne so wären wie 20 (bzw. 15) Jahre zuvor, ihnen ihr Alter aber einen Strich durch die Rechnung macht. Ich finde den in Summe immer noch spassig und charmant, gerade weil der Film das Alter seiner Hauptdarsteller effektiv einbaut.

Nach 76 würde ich auf jeden Fall noch den zweiten Superman als echten Lichtblick sehen, da hier nochmal viel von Lesters typischen Trademarks vereint sind.
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Re: Getting Away With It – Die Filme des Richard Lester

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Die Superman Filme finde ich im Prinzip eher öde. Teil 1 ist komplett langweilig und hat mir gar nichts zu bieten. Da war dann Lesters etwas trashig komischer Ansatz deutlich interessanter, aber an Teil 3 habe ich dann schon wieder weniger gute Erinnerungen, was auch an einem nervigen Richard Pryor lag. Tricktechnisch sind die auch schlecht gealtert.
Zuletzt geändert von Maibaum am 20. Mai 2023 12:37, insgesamt 1-mal geändert.

Re: Getting Away With It – Die Filme des Richard Lester

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Pryor finde ich im stählernen Blitz granatenstark. Das mag dann am Ende vielleicht fast mehr Richard-Pryor-One-Man-Show als Superman-Film sein, aber das macht wie ich finde ja gerade erst die Stärke des Films aus. Wenn die dröge letzte halbe Stunde mit dem Endkampf mit dem komischen Supercomputer nicht wäre, dann hätte Superman 3 bei mir ernsthafte Chancen auf den Topplatz innerhalb der Reeve-Reihe. Auch, weil Lesters Handschrift wie ich finde hier noch stärker durchkommt als in Teil 2, wo er vieles von Donner geerbt/übernommen hat.

Bzgl. Effekten: manches ist tatsächlich nicht besonders gut gealtert bzw. war bereits in den 70ern nicht mehr wirklich zeitgemäß (die erkennbaren Modelle, gerade bei den Szenen um den Dammbruch in Teil 1). Dafür sind aber viele Effekte auch wirklich gut gelungen, vor allem die mit dem fliegenden Superman und die Szenen im Weltraum (wenn man mal vom Cannon-Trashfestival Teil IV absieht). Solche Szenen findet man in Filmen der damaligen Zeit nicht bedeutend besser, vor allem die am Tag spielenden Szenen, die ja (eigentlich bis heute) immer die grösste Effektherausforderung darstellen.
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Re: Getting Away With It – Die Filme des Richard Lester

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So, habe jetzt auch noch ewiger Zeit den Musketier-Doppelpack wieder gesichtet. Dazu nur auf die schnelle ein paar Gedankenfetzen.

- die UHD-Version lohnt sich, das ist ein super Bild, der Bluray zwar nicht massiv, aber dennoch überlegen (In dem Package sind beide Scheiben drin);
- ich musste erst wieder reinkommen, denn der Wechsel zwischen Slapstick, Ernsthaftigkeit und Abenteuerflair ist gewöhnungsbedürftig; funktioniert aber nach kurzer Eingewöhnung recht gut;
- der zweite Film hat mir besser gefallen (Gewöhnung entfällt), er ist weniger episodenhaft und fokussierter, auch bekommen die Figuren hier mehr Tiefe;
- wie bei anderen Musketierverfilmungen auch, stehen die drei Titelhelden nicht im Fokus, vor allem Chamberlain bekommt sehr wenig zu tun; natürlich ist das vornehmlich die Geschichte d´Artagnans und Michael York trägt sie auch;
- der Kampfstil, mehr Raufen als Fechten, ist ebenfalls gewöhnungsbedürftig und für mich als ausgewiesenem Mantel- und Degenfan ist das nicht so geglückt; mal ein anderer Ansatz, aber das elegante Fechten ist eine Schau, auf die ich in solch einem Film nur ungern verzichte, das ist ein Makel;
- dass auch viel geschossen wird, stört mich weit weniger, denn das kommt den echten Musketieren viel näher;
- die Besetzung ist auch in den Nebenrollen sehr namhaft und solche Ensemblefilme profitieren häufig davon, das ist auch hier der Fall;
- die Villain-Seite ist mit Heston, Lee und Dunaway auf dem Papier granatenstark, im Film gibt es aber den ein oder anderen Abstrich zu machen; Heston ist mir fast ein wenig zu brav, liegt aber auch an seiner recht geringen Screentime; Dunaway gefällt mir auch nicht zu 100% als Lady de Winter, ich nehme ihr weder das Männermordende, noch das Diabolische vollumfänglich ab, Lee als Rocheford hätte auch noch eine Spur fieser sein dürfen, ist aber in dem Trio für mich die Nummer 1;

Das klingt jetzt alles viel negativer, als ich es empfunden habe, soll heißen, es hat durchaus Spaß gemacht die Filme (in meiner Jugend mochte ich die gar nicht) wieder zu entdecken; insgesamt ist das sehr schwungvoll und leichtfüßig inszeniert und es gibt einige Lacher, vor allem oft abseits des Fokus, was wirklich witzig ist; auch der Wortwitz nimmt vor allem im zweiten Film Fahrt auf;

Als Fazit würde ich also eine Empfehlung aussprechen, zumal für Freunde der Vorlage; es ist überhaupt interessant wie verschieden die gar nicht mal so zahlreichen Verfilmungen sind;
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Re: Getting Away With It – Die Filme des Richard Lester

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vodkamartini hat geschrieben: 23. Mai 2023 15:54 Das klingt jetzt alles viel negativer, als ich es empfunden habe, soll heißen, es hat durchaus Spaß gemacht die Filme (in meiner Jugend mochte ich die gar nicht) wieder zu entdecken
War bei mir genau andersrum, als Kind habe ich die geliebt (vermutlich so im Alter von 10 Jahren das erste Mal gesehen), aber als ich die vor einigen Jahren für meine Kinder kaufte, fielen mir die Slapstick- und Klamauk-Elemente stärker auf, da war man als Kind auf der Humor-Seite vermutlich etwas rustikaler aufgestellt.
Zuletzt geändert von ollistone am 23. Mai 2023 16:36, insgesamt 1-mal geändert.
"Wenn man sämtliche Schöpfungen des weißen Mannes von diesem Planeten entfernte, besäßen seine Ankläger weder Zeit noch Mittel, ja nicht einmal Begriffe, um ihn mit Vorwürfen zu überhäufen."

Re: Getting Away With It – Die Filme des Richard Lester

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Ich bin in meiner Kindheit mit Wiederaufführungen von Ben Hur, Die Zehn Gebote etc. groß geworden. Ja, im Kino gesehen :) Im TV dann sehr viele Western aus den 50er und 60er Jahren gesehen, sowie viele Abenteuerfilme mit Stewart Granger (auch 50er, 60er). Toll fand ich damals auch Ivanhoe und Prinz Eisenherz. Da waren die Lester-Filme ein kleiner Schock :). Wie ich überhaupt mit dem Kino der 70er Jahre, vor allem dem etwas leichtfüßigeren, nur sehr wenig anfangen konnte.
Inzwischen bin ich zwar nach wie vor kein Fan, empfinde aber viele der 50er und 60er-Streifen als ziemlich hölzern. Da hat der Lestersche Schwung zweifellos Charme. Und der etwas witzigere Ansatz passt durchaus zu den Musketieren, die 90er Version mit Sutherland, Curry, Sheen, de Mornay etc. setzte ebenfalls auf diese Karte, ohne reiner Klamauk zu sein.
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Re: Getting Away With It – Die Filme des Richard Lester

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vodkamartini hat geschrieben: 23. Mai 2023 15:54 der Wechsel zwischen Slapstick, Ernsthaftigkeit und Abenteuerflair ist gewöhnungsbedürftig
Für mich ist das die zentrale Stärke der Filme. Ich liebe es, wie selbstverständlich Lester problemlos Komik, Ernst, Tragik, Eskapismus, albernen Slapstick und aufrichtigen Abenteuergeist miteinander vermengt. Wer braucht schon das Festlegen auf eine Tonalität, wenn man so fröhlich gleich alle Tonalitäten bedienen kann? Für mich ist das auch der Spaß an zum Beispiel "Superman" von Richard Donner (und auch eingeschränkt an den Lester-Fortsetzungen) und in etwas abgeschwächter Dosis auch an den Roger-Moore-Bond-Filmen. Ich hatte da gleich Spaß, als beim ersten Kampf der drei plus eins Musketiere gegen die Männer des Kardinals bereits fröhlicher Unfug veranstaltet wird. Mir fehlt da auch die klassische Fechtkunst nicht. Im Gegenteil. Ich fand es dann eher stark, dass vor allem der zweite Teil trotz gefühlt noch albernerer Momente (Kampf auf dem Eis) die sehr tragischen Aspekte der Vorlage nicht ausspart und diese sogar zünden können.
vodkamartini hat geschrieben: 23. Mai 2023 15:54 der zweite Film hat mir besser gefallen, er ist weniger episodenhaft und fokussierter, auch bekommen die Figuren hier mehr Tiefe
Mehr Tiefe? Ja. Besser? Klar. Weniger episodenhaft? … findest du echt? Geht mir anders. :) Gerade Teil 2 hat doch eine ziemlich starke Episoden-Struktur. Die erste halbe Stunde ist das Intermezzo mit D'Artagnan und der Winter-Lady (bis zur Befreiung seiner Holden), dann hängen die Musketiere eine Weile an der Burg herum, bis die Bedrohung von Buckingham eine Rolle spielt usw. Ich hatte den Eindruck, Teil 2 ist da sehr viel fragmentierter in seiner Erzählweise. Eine so lange, komplett aus sich selbst heraus existierende Szene wie die mit den Musketieren und ihrem Frühstück an vorderster Front findet sich im ersten Film zumindest nicht. Übrigens war das wohl meine Lieblingsstelle im ganzen Zweiteiler, dicht gefolgt von der finalen Hinrichtung der Lady de Winter (die dann tonal das komplette Gegenstück ist), die fand ich stark und 'mächtig' inszeniert.
vodkamartini hat geschrieben: 23. Mai 2023 15:54die Villain-Seite ist mit Heston, Lee und Dunaway auf dem Papier granatenstark, im Film gibt es aber den ein oder anderen Abstrich zu machen
Sagen wir so: Man kann den Heston als verschenkt empfinden. Wirklich viel zu tun hat er nicht. Normalerweise würde ich da auch sagen: "Was braucht ihr für den Part denn einen wie Heston?" Aber es geht erstaunlich gut auf und der Zweiteiler lebt davon, wie absurd gut wirklich jede noch so kleine Rolle besetzt ist. Der Kardinal ist zwar sicher keine kleine Rolle im herkömmlichen Sinne, aber dennoch: Es passt zu diesem kunterbunten Mix aus Tonlagen einfach wunderbar, ein Schwergewicht wie Heston für ein paar Minuten grummelnd ein paar Villain-Sätze sagen zu lassen. Und dann bekommt ein Part wie seiner natürlich auch durch ihn noch einige kleinere Konturen, die ein weniger erfahrener und begabter Schauspieler vielleicht nicht miteinbringen hätte können. Passt daher für mich. Faye Dunaway finde ich prima, wie eigentlich immer (ob "Thomas Crown", "Chinatown" oder "Network" – die kann gar nicht anders als bärenstark sein). Ist sie die absolute Topbesetzung für den Part der Lady de Winter nach Dumas? Vielleicht nicht ganz, aber in dieser Lester-Interpretation ist sie genau, was sie sein muss. So zumindest mein Eindruck.
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Re: Getting Away With It – Die Filme des Richard Lester

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Die (leichte) Kritik an Heston und Dunaway kann ich nicht teilen. Bin da ganz bei Hille, für mich gehören beide zu den darstellerischen Kronjuwelen der beiden 70er Filme (zusammen mit Oliver Reed). Klar, Hestons Rolle ist etwas klein geraten, aber ähnlich wie Brando im ersten Superman nutzt er seine eher geringe Screentime sehr eindrucksvoll aus. Sein hier eher auf Understatement ausgelegtes Spiel passt wie ich finde sehr gut zur Figur, aus der man als Zuschauer ja auch nie so recht schlau wird, gerade hinsichtlich seiner Motivation. Denn so richtig "böse" ist Richelieu hier ja eigentlich gar nicht, eher skrupellos, um seine (nicht zwingend verkehrten) Anliegen durchzusetzen. Milady und Rochefort sind da deutlich andere Kaliber, wobei auch bei Milady der Film ja zumindest Zweifel aufkommen lässt, ob sie jetzt eben von Natur aus ein bösartiges Wesen hat (und entsprechend den arglosen Athos in eine Heirat getrickst hat) oder ob sie erst durch das wenig freundliche Verhalten der Gesellschaft (inklusive ihres Mannes) zu dem geworden ist, was wir in den beiden Teilen erleben. Dieser unklare Hintergrund ist wie ich finde von Lester subtil und sehr geschickt integriert, ohne dass da großes Aufhebens darum gemacht wird. Trotzdem schwingt über dem Athos/Milady-Plot immer die Frage mit, wer hier in der Vergangenheit wem eigentlich größeres Unrecht angetan hat.

Hinsichtlich der (Nicht-)Fokusierung auf die drei Titelhelden würde ich es so sehen, dass Teil 1tatsächlich in erster Linie die Geschichte von D'artagnan ist, da wir praktisch die gesamte Handlung aus seiner Sicht erleben (stimmt technisch nicht zu 100%, aber weitgehend). Beim zweiten Teil hingegen ist diese Gewichtung allerhöchstens noch in Teilen vorhanden. Teil 2 ist viel mehr Ensemble-Film als noch Teil 1 und gerade der Athos-Milady-Plot nimmt ja sehr viel Handlung ein. Wenn ich eine Hauptfigur in Teil 2 benennen müsste, dann wäre dies wohl auch Milady. Und auch die 3 Titelhelden sind wesentlich präsenter, vor allem Athos und der grandiose Frank Finlay als Porthos (der nicht umsonst ja auch die Erzählerrolle inne hat). Chamberlain kommt tatsächlich etwas kurz, aber funktioniert im Kreis seiner drei Kameraden ebenfalls prächtig.
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Re: Getting Away With It – Die Filme des Richard Lester

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Wie gesagt ich war nie ein großer Fan der Dunaway, uneingeschränkt gut fand ich sie nur in Chinatown. Aber das sind persönliche Geschmäcker. Ich hab ja auch die Romanvorlage gelesen und Dunaway ist für mich nicht der klassische Vamp, als der sie beschrieben ist. Heston spielt subtil ja, aber das kommt dem historischen Richelieu nicht sehr nahe, der ja zu dieser Zeit der eigentliche Herrscher Frankreichs war, das kommt hier gar nicht rüber. Sicher kann man fragen, ob das in einem Unterhaltungsfilm sein muss.

Die dunkle Vergangenheit und das ambivalente der de Winter Figur ist ebenfalls 1:1 aus dem Roman übernommen und kommt auch in jeder Musketierverfilmung vor. Da filmt Lester brav die gängigen Plotstandards ab. Ich sehe de Winter da auch nicht im Fokus, es stimmt, dass der zweite Film mehr Ensemblefilm ist, ohne klar erkennbare Hauptfigur.
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Re: Getting Away With It – Die Filme des Richard Lester

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Aber Richelieu ist doch auch bei Lester der eigentlich Herrscher, der König wird doch eher schwach gezeigt, oder? Und das Richelieu nicht nur Schurke ist, sondern halt seine Interessen verfolgt, das fand ich gut. Und Heston verleiht ihm dafür die notwendige Autorität und Souveränität.

Im großen Darstellerreigen möchte ich in dem Zusammenhang dann auch noch auf Jean Pierre Cassel und Geraldine Chaplin hinweisen, dem Königspaar. Ebenfalls prominent besetzt für eher kleine Rollen , die darstellerisch gegenüber den anderen schon fast zurückbleiben müssen.

Lesters Musketiere gehören zu den vielen radikalen Neuinterpretationen klassischer Legenden in dieser Zeit, einer spannenden Zeit in der das Genrekino sich noch einmal auf damals erfrischende Art neu erfand, bevor es dann flott wieder zurück zur Konventionalität ging. Und war von diesen bei weitem nicht die radikalste. Lesters Robin und Marian ging da wesentlich weiter.