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von Casino Hille
'Q Branch' - MODERATOR
The Founder
Viel zynischer kann ein Filmtitel nicht sein: Mit "The Founder" betitelt Regisseur John Lee Hancock sein Biopic über die Ursprünge eines der erfolgreichsten Unternehmen der Welt: McDonald's. Doch die Hauptfigur, der Mittfünfziger Ray Kroc, war gar nicht der Gründer von McDonald's. Das waren in Wahrheit die Brüder Mac und Dick McDonald, welche anfang der Fünfziger Jahre ein revolutionäres gastronomisches Konzept entwarfen: Fast-Food. Sein Essen in weniger als einer Minute nach Bestellung zu erhalten, ist ein Komfort, der heute auf dem gesamten Globus längst zum Standard geworden ist. Kroc staunte jedoch nicht schlecht, als er zum ersten Mal in 30 Sekunden einen Hamburger serviert bekam. Wie aus ihm, einem wenig erfolgreichen Vertreter von Klapptischen und Hochgeschwindigkeitsmixern für Milchshakes, ein Milliarden schwerer Unternehmer und "Gründer" von McDonald's werden konnte, erzählt Hancock mit derselben zynischen Grundhaltung die sein Titel verspricht als wirtschaftspolitisches Lehrstück darüber, wie idealistische Tugendhaftigkeit von seelenlosen Unternehmern ausgerottet wird.
Der Clou von "The Founder" ist, dass er seine wahre Geschichte als zwei Seiten einer Medaille präsentiert: Ray Kroc, der die Idee der McDonald-Brüder aufgreift und zum nationalen Franchise ausbaut, könnte nur allzu leicht als Haifischkapitalist verdammt werden, der eine fremde Idee für sich vereinnahmen will. Hancock jedoch verwendet einen großen Teil seiner Laufzeit dafür, Kroc als Sympathieträger zu etablieren, als intelligenten Visionär, der sein ganzes Leben lang dem Amerikanischen Traum "vom Tellerwäscher zum Millionär" hinterher rannte. Die McDonald-Brüder hingegen zeichnet sein Film als liebenswerte, bürgerliche Idealisten, die als Tellerwäsche gar nicht den Wunsch hegen, zum Millionär aufzusteigen. Aus dieser clever etablierten Spannung zwischen den Parteien zieht "The Founder" einen Großteil seines Reizes, der in der moralischen Ambiguität liegt. Wer hier Recht hat und wer Recht behält, liegt stets im Auge des Betrachters und der Zuschauer darf nicht erwarten, diese Entscheidung vorgekaut zu kriegen. So könnte man die erste halbe Stunde, die in pastellfarbener Heile-Welt-Optik das Fast-Food-Konzept bei angenehmen Country-Klängen aus Carter Burwells Soundtrack erklärt, glatt als - zugegeben faszinierend inszenierte - Werbefilm für das goldene M fehlinterpretieren. Umso schockierender ist, wie Hancock in Folge ohne viel Drama die vermeintliche Erfolgsgeschichte in eine Pervertierung des American Way of Life wendet, die man glatt als Abgesang auf das Ideal des "Selfmademan" selbst deuten kann.
Wie gezielt "The Founder" den Amerikanischen Traum entlarvt, ist angesichts der heiteren Erzählweise mit schnellen Montagen und bunten Bildern enorm überraschend. Der Dank gebührt unter anderem Drehbuchautor Robert D. Siegel, dessen rasiermesserscharfe Dialoge den Nagel auf den Punkt treffen. Als Kroc beginnt, mit der Burger-Kette zu expandieren, vergibt er Unterlizenzen an Ehepaare. Diese sollen Sauberkeit und Familienfreundlichkeit ihrer Filialen wahren und damit nicht nur die Ideale des Unternehmens, sondern die uramerikanischen Werte aufrecht erhalten. In einer Ansprache nennt Kroc gar McDonald's als nötigen wirtschaftlichen Zusatz zur amerikanischen Identität, vergleicht die goldenen Bögen von McDonald's mit dem Kreuz auf Kirchtürmen. Die Kommerzialisierung des Familienbetriebs erklärt er zur patriotischen Verpflichtung. Burgerbraten fürs Vaterland. In diesen grandiosen Momenten erweist sich Michael Keaton in der Hauptrolle als Idealbesetzung. Er findet den perfekten Mittelweg, diesen sich langsam zum Geschäftsegomanen wandelnden Großkapitalisten mit genügend empathischen Zwischentönen zu spielen, um eine Neutralität zu wahren, die "The Founder" unbedingt anstrebt. Hancock verzichtet auf satirische oder wertende Subjektivierungen der Geschichte, sondern spart die Anklage aus - und damit auch die Katharsis von Figuren und Zuschauer.
Erstaunlicherweise verweigert der Film sogar eine eindeutig antikapitalistische Grundhaltung. Die Neutralität, die für Kroc und die McDonald's Brüder gilt, gilt gleichermaßen auch für die Wirtschaftssysteme, die hier dichotom gegenüber gestellt werden. Den Kapitalismus zeigt Hancock als das, was er ist: Als darwinistischen Kampf, in dem für Träumer keinen Platz ist. An einer Stelle lässt er Kroc losgelöst den Song-Klassiker "Pennies From Heaven" singen. Es ist der Moment, in dem dem Letzten klar wird, dass Kroc nicht mehr wie das lyrische Ich des Liedes der ist, der das regnende Geld fangen will. Er will es selbst regnen lassen. "The Founder" ist somit nicht nur eine Studie über den Beginn der lang andauernden Ära "Big Mac", sondern auch eine interessante Analyse über die Grundwerte der amerikanischen Kultur. Das von Kroc gesprochene Fazit ist keine Erfindung des Drehbuchs, sondern ein Originalzitat: "If I saw a competitor drowning, I'd shove a hose down his throat." Dieser Satz reicht aus, um die Aggressivität zu untermauern, mit der sich Kroc im Nachhinein als Gründer der McDonald's-Corporation inszenierte. Er lebte den Amerikanischen Traum, baute ihn aber auf geistigen Diebstahl auf. Der Traum, den er lebte, hatten andere geträumt. Ein vernichtendes Schlussbild. Der Konsum hat einen unendlich großen Magen. Nicht wenigen wird bei dieser Einsicht der Appetit auf den nächsten Fertig-Hamburger rasch vergehen.
Fazit: Wie schnell Ideale und Standards der Kommerzialisierung im Kapitalismus abhanden gehen können, kristallisiert sich in "The Founder" auf perfide Art und Weise heraus. John Lee Hancock und seine Besetzung leisten ein wichtiges Stück Aufklärungsarbeit und wissen, differenziert und ausgewogen (wenngleich nicht ohne Zynismus) über die Entstehung des Fast-Food-Mythos zu referieren. Wie die Regie dabei den Reiz des schnellen und unkomplizierten Verzehrs sowie die Verlockung des sich immer weiter vermehrenden Lotterlebens heraus arbeitet, ist genauso manipulativ wie die Spielfreude ihres Hauptdarstellers. Wenn Michael Keaton einmal zu oft etwas zu breit in die Kamera grinst, bekommt dieses Grinsen einen leicht deplatzierten Ausdruck, der die Fallhöhe seiner Figur weit nach oben schraubt - doch der Fall bleibt aus. Ray Kroc sicherte sich einen Platz in den Geschichtsbüchern. Verdient oder unverdient? Das müssen andere entscheiden. Kapitalismus ist Krieg. Und die Geschichte wird immer vom Sieger geschrieben.
8,5/10
https://filmduelle.de/
https://letterboxd.com/casinohille/
Let the sheep out, kid.