DonRedhorse hat geschrieben: 23. Juli 2018 13:32Ich bin lieber Deniz Yücel.
Finde persönlich nicht, dass das eine Sache davon ist, was man lieber ist und was nicht. Und da spricht "Wir sind alle Özil", ein Spruch der übrigens nicht von mir kommt, genau das aus, was unzählige junge Muslime in unserem Land seit Wochen denken, weil sie sich sehr gut mit ihm identifizieren können. Ich dachte eigentlich, dass der Spruch hier bekannt wäre.
Ja, Özils Auftritt und das viel zu künstlich zum Skandal aufgebauschte Foto waren hochgradig naiv und ihm hätte klar sein müssen, was für einen Rattenschwanz das ganze hat - und seine Rechtfertigung dafür hätte er sich schenken müssen, weil sie den Geschmack von Verzweiflung in sich trägt. Trotzdem hat der Spiegel-Artikel völlig recht: Die Kritik an ihm und am "Erdogate" ist sehr schnell in eine Richtung ausgeartet, die erstens offengelegt hat, was nicht wenige fälschlicherweise unter Integration verstehen und zweitens jungen Migranten, die sich trotz Integrationsbemühungen hier immer als Außenstehende gefühlt haben nun in gewisser Weise recht gibt. Und ja, der DFB hat erhebliche Fehler im Auftreten gemacht und Bierhoff und Grindel hätten sich hinter Özil stellen müssen, um den sofort in die Debatte einschwingenden Rassismus (den es leider gegeben hat) zu unterbinden. Stattdessen haben sie genau das nicht getan und sich als institutionalisierter Pfeifenkopfverein erwiesen. Ob Özil's Abgangsstatement so sinnvoll und sympathisch war? Ich denke nicht, aber das kümmert mich auch nicht groß. Und gerade bei der Kritik daran, dass Özil als Nationalspieler einen gewissen Wertekatalog einzuhalten habe (was schlicht nicht der Fall ist), hätte selbiges für den DFB gelten müssen, der sich aber nicht dafür entschieden hat, klar für die Rechte von Mesut Özil einzutreten. Stattdessen wurde es sich bequem gemacht und nach dem Ausscheiden der Nationalelf die Schuld in Teilen auf Özil abgeladen, anstatt ein klares Zeichen für Integration zu setzen. Wenn Anatol sagt, dass Özil nicht zur Gallionsfigur taugt, dann hat er sicher recht - in die Rolle hat aber nicht er sich gedrängt, sondern das Verhalten aller anderen im Skandal um ihn herum, erst recht derer, die ihn mit rassistischen Parolen beschimpften oder ihn nicht davor verteidigten. Das Versagen des DFB ist deshalb auch das größere, weil man sich unnötig hat instrumentalisieren lassen und bis heute zu dumm war, das zu merken - und um es ganz ehrlich zu sagen: Auch hier gehe ich mit dem Artikel konform, dass das schlussendliche Statement von Özil (so falsch es einige finden mögen) sehr gut das Gefühl zahlreicher jungen Migranten beschreibt, die sich hier jetzt mehr denn je trotz Integrationsbemühungen als Fremde fühlen müssen. Und genau das ist, worum es in der Debatte gehen sollte. Inzwischen hat nämlich auch der "integrierteste" Migrant das Gefühk bekommen, dass man als Mensch in Deutschland und auch in der Nationalmannschaft nur anerkannt ist, wenn man wie ein Äffchen nach der deutschen Pfeiffe tanzt. Das sollte für alle zukünftigen Migranten eine Mahnung sein. Wenn Menschen anderen Menschen vorschreiben, mit wem sie sich fotografieren zu lassen haben und dann im selben Satz von Demokratie reden, sollten sie sich selber Mal fragen, ob sie verstanden haben, was Demokratie ist. Und nein, ich sage nicht, dass Özil keine Fehler gemacht hat. Das ist aber eben nicht der Punkt, sondern der Umgang im Nachhinein damit, bei dem aber selbstverständlich beide Seiten schlecht aussehen.
Hier auch noch ein ausgezeichneter, differenzierter und auf beiden Seiten kritischer Kommentar zum Thema, der exakt meine Meinung widerspiegelt und klar macht, dass alle verloren haben. Özil, der sich mit seiner naiven Art nicht richtig von Erdogan abgegrenzt hat und sich zugegeben wochenlang der Verantwortung, die er in seinem Job hat, nicht stellen wollte. Grindel, Bierhoff und Co., die versucht haben, ihm die alleinige Schuld für die katastrophale Leistung bei der WM in die Schuhe zu schieben. Und schlussendlich das ganze Land, das sich teilweise zu einem Mob mobilisieren hat lassen, der vor ein paar Jahren noch nicht denkbar gewesen wäre.
https://www.sueddeutsche.de/sport/oezil ... -1.4065807
Und ich widerspreche Henrik entschieden: Natürlich wäre es im Falle Thomas Müller etwas anderes gewesen.