GoldenProjectile hat geschrieben: 29. September 2020 20:29
Mathis finde ich angenehm, weil er seine Erklärungen in einem charismatischen Gesamtauftritt verpackt
Kann ich nachvollziehen. Mich nerven Figuren, die nur dazu da sind, um eine lange Exposition nach der anderen abzulassen und insbesondere dann, wenn sie dabei andauernd Dinge erklären, die nicht erklärt werden müssen. In Casino Royale wird unglaublich viel über all das geredet, was der Film thematisieren will, dabei sind Campbell und die Autoren durchaus fähig genug, ohne diese vermeintlich tiefsinnigen Dialoge auszukommen oder das was gesagt werden muss ansprechend zu komprimieren. Grandioser Satz: "Man kann auch als Leiche noch sehr nützlich sein." --> Diese Dialog-Qualität erreicht Casino Royale aber nur äußerst selten.
M, Vesper und Mathis sind da die größten Problemfiguren. Persönlich mag ich Judi Dench in der Rolle (allemal mehr als Ralph Fiennes), allerdings hauptsächlich in der Brosnan-Ära. Sie dort als bissige Mutter-Figur in die Männerdomäne des Geheimdienstes zu setzen fand ich durchaus interessant, und vor allem in Tomorrow Never Dies funktioniert das meines Erachtens sehr gut im Zusammenspiel mit der Admiralität. Ja, die Autoren wussten nicht immer was mit ihr anzufangen, und ihre Quasi-Hauptrolle in The World is not Enough hätte das Höchstmaß der Gefühle sein dürfen, aber sei es drum: Dafür hat sie auch in der Craig-Ära zumindest in Quantum of Solace nochmal einen bärenstarken Auftritt (vor allem in der exzellenten Hotelzimmer-Szene – "He ist MY Agent and I trust him!"). In Casino Royale ist sie in der Tat Stichwortgeberin, und darf alles, was den Film am Thema veraltetes Männlichkeitsbild interessiert im ersten Dialog mit Bond laut aussprechen, damit es auch der letzte Schwachmat passiert. Das Problem: Ihre Sätze à la "Arrogance and self-awareness seldom go hand-in-hand" ergeben recht wenig Sinn, denn nichts davon ist im Film bisher passiert. Bond verhält sich auf Madagaskar nicht arrogant oder übertrieben selbstbewusst, sondern wie ein Psychopath.

Es ist mir ein Rätsel, dass er nach der Aktion nicht mindestens ins Gefängnis gehen muss. Ohne Witz: Etwas so derartig dummes hat Bond in keinem der 20 Filme zuvor je getan – und der Bond von Connery bis Brosnan war immer arrogant und self-aware.

Sei es drum: So übel finde ich Judi Dench auch wieder nicht, und so wie sie zu Beginn von Casino Royale darüber motzt, dass ihr der Kalte Krieg fehlt, hätte sie gerne öfter bei Craig auftreten dürfen.
Übrigens kurz zum Madagaskar-Kapitel eine Ketzer-Frage: Hätte das nicht ohne den Reboot inhaltlich besser funktioniert? Mit einem erfahrenen Bond, der aus lauter Selbstsicherheit, weil er bisher auch immer gewonnen hat, das Maß verliert und eine große Dummheit begeht? Wäre das nicht sogar die interessantere Entwicklung für die Figur gewesen? Aber gut, das ist eine konzeptionelle Frage.
Mathis stört mich vor allem, wenn er im Pokerspiel neben Vesper steht und jeden einzelnen Schritt am Tisch dem Zuschauer erklärt. Da muss ich als begeisteter Pokerspieler allerdings zugeben: Anders kann man es in einem Blockbuster wie Bond nicht machen, denn der normale Zuschauer muss auch einigermaßen verstehen, was da gerade passiert. Daher geht das wohl in Ordnung und ist mir eher ein persönliches Dorn im Auge. Vesper ist viel schlimmer: Die Zugszene ("I am the money" - Haha, witzig!) ist einer der plattesten Dialoge der Bond-Geschichte. Da unterhalten sich nicht ein Agent und eine Frau vom Schatzamt, sondern zwei Küchenpsychologen, die mit Mentalismus und Schwarzer Magie in Sekundenschnelle alles aus dem Gesicht des Anderen ablesen und uns als Zuschauer somit minutiös vorkauen können, wie beide ticken. Was ist in diesem Dialog aus "Show, don't tell" geworden? Ist es zu viel verlangt, einen Dialog zu schreiben, bei dem man an der Art, wie die zwei Figuren sich verhalten und abtasten etwas über sie erfährt? Geht es wirklich nicht anders, als dass sich die beiden gegenseitig uns vorstellen und dabei auch noch ein psychologisches Profil mitliefern? Aua… Von so herrlich "subtilen" Sätzen im späteren Verlauf wie "I have no armour left. You've stripped it from me. Whatever is left of me - whatever is left of me - whatever I am - I'm yours" oder noch besser "You lost because of your ego, and that same ego can't take it" (Danke Vesper, ich hatte die Szene zuvor gar nicht verstanden…) mal abgesehen…
Samedi hat geschrieben: 29. September 2020 18:56
Casino Hille hat geschrieben: 29. September 2020 18:06
Nur auf das Writing der Dialoge bezogen, gehören GE und CR für mich zu den Schlusslichtern der Reihe.
Finde ich gar nicht, wobei CR auch in dem Bereich noch um einiges besser ist als es GE damals war. Vor allem aber im Vergleich mit dem direkten Vorgänger ist CR bei den Dialogen um Welten besser.
Gerade im Originalton fällt mir das immer wieder auf. GoldenEye ist auf eine sehr unangenehme Art extrem 90s, was die Dialoge anbelangt, einiges erinnert mich da unangenehm an Jerry Bruckheimer Filme. Wenn Brosnan und Bean in der PTS einen möchtegern coolen Dialog (der nach eingespieltem Team klingen soll) nacheinander rausposaunen, finde ich das ehrlich gesagt sogar ein bisschen peinlich ("We aim to please" – C'mon, Bond!). Da bin ich vielleicht alleine mit, aber in GoldenEye reden fast alle Charaktere mindestens die Hälfte ihrer Leinwandzeit in Onelinern, und da tut mir Sean Bean bei einigen Szenen sogar leid.
Casino Royale hingegen hat diesen enorm toterklärerischen Stil, der vermutlich von Paul Haggis kommt, da er auch in Quantum of Solace manchmal noch im ähnlichen Maß erkennbar ist. Außerdem fängt mit Casino dieses Sprechen der Figuren in Plattitüden an, in Parolen, die immer einen gewisser Trailer-Stil haben (CR: "Sometimes we pay so much attention to our enemies, we forget to watch our friends as well" / QOS: "When you can't tell your friends from your enemies, it's time to go" / SF: "Some men are coming to kill us – we're going to kill them first" / SP: "If you go there, you will cross over into a place where there is no mercy"). Das sind Szenen, bei denen ich ständig denke: Wer redet bitteschön so?

John Logan hat diesen Writing-Stil für seine Bonds beibehalten, denn auch Skyfall und Spectre sind voll von langen Dialogen, die eigentlich nur das Offensichtlich erklären, und es nie schaffen, etwas über die Figuren zu verraten, sondern so geschrieben sind, dass sie uns die Figuren verraten.
Insgesamt denke ich, dass Quantum die besten Dialoge der Craig-Filme hat, weil hier oft in sehr einfachen Worten die Handlung weiterentwickelt wird und die Figuren sich nicht regelmäßig erklären, sondern Forster vieles visuell erzählt / erzählen muss. Hier ist mehr show, in den anderen drei Filmen ist sehr viel tell (allerdings nicht Bogenschütze Willi).
Ein abschließendes Wort noch: Bondfilme sind keine Dialogfilme und das müssen sie auch nicht sein. Alle Bondfilme haben Dialoge, die hoffnungslos "overwritten" sind, alle Bondfilme haben einige steifere Dialogzeilen. Das liegt in der Natur von Bondfilmen. Ich erwarte absolut kein perfektes Writing – dafür gucke ich Filme wie "Spotlight", "Inside Llewyn Davis" oder "The Social Network". Aber die meisten alten Bonds sind meines Erachtens kompakter und (wenn auch mit gesundem Pragmatismus ausgestattet) eleganter in ihren Dialogen – was daran liegen mag, dass die meisten Bonds zwischen 1962 und 2002 eine große Portion Naivität atmen, die die Craig-Filme mehr und mehr abzulegen versuchen.