Re: 94th Academy Awards (27. März 2022)

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Stimme dem voll zu aber ich würde jetzt nicht gerade die letzten beiden Jahre als Referenz heranziehen, die ja nun für Hollywood alles andere als normal waren. Dass überhaupt ein paar Filme gedreht werden konnten und diese dann von ein paar Zuschauern gesehen werden konnten, ist ja fast ein Wunder.

Generell sehe ich es aber auch so, dass es seit Jahren immer weniger Filme gibt, die so irgendwie den Mittelweg zwischen Unterhaltung und Anspruch finden (bzw beide Kategorien voll bespielen), oder auch nur Filme wie die vielen vielen hochinteressanten Filme mit mittelgroßem Budget aber tollen Darstellern wie es sie in den 90er gab. Übertrieben gesagt: Es gibt nur noch Marvel und Disney hier, und kleine Produktionen die man kaum mitbekommt dort.
"It's been a long time - and finally, here we are"

Re: 94th Academy Awards (27. März 2022)

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Die Frage, die sich mir bei den Oscars stellt ist, wie wichtig die TV-Quote und die jeweiligen Werbeeinnahmen sind und ob die Oscars nicht einfach auf ihrer eigenen Seite die Verleihung als PPV-Stream (ca. 20 Dollar) anbieten, auf den weltweit zugegriffen werden kann. Mit dann in der Verleihung eingebundenen Werbungen und gegebenenfalls verhandelten Sponsoring-Verträgen könnte dieses lästige, nach mindestens 3-4 Showelementen einsetzende Werbepausen-Element eliminiert werden.

Desweiteren habe ich nicht das Gefühl, dass die Academy und die Organisatoren konkret wissen, was mehr Zuschauer zum Einschalten und damit zur Erweiterung der Reichweite bewegen würde. Bei der Verleihung, die sich größtenteils an einem typisch amerikanischen Publikum orientieren möchte stellt sich mir die Frage, wie das Publikum selbst zu den filmischen Themen eingestellt ist. Da kann bei einigen Gruppen die Gesellschaftskritik im Film auch als Kritik am eigenen Land interpretiert werden, was dann eine größere Abneigungen gegenüber dem typischen Oscarfilm bedeuten könnte. Zudem ist der Personenkreis der die Filme gesehen hat auch relativ gering. Selbst Filme mit größeren Zuschauerpotential in den letzten Jahren haben da irgendwie keine großen Effekte gehabt. Auch mit dem Thema von Diversität kann glaube ich soweit ein gewiss großer Teil des Zuschauerpotentials auch nicht wirklich etwas anfangen.

Aus leicht kritischeren, konservativen Kreisen gab es auch im letzten Jahr Kritik an der Austragung in der Union Station, da für die Verleihung ein Teil der dort wohnenden Obdachlosen vertrieben worden sind - und dann gewinnt auch noch ein Film wie "Nomadland". Für den erlauchten Kreis der privilegierten, eingeladenen Elite gibt es ja auch immer diese hoch dotierten Gift-Bags. Es wäre doch eine großartige Geste gewesen, damals auf die Gift-Bags zu verzichten und den finanziellen Gegenwert den dort lebenden Obdachlosen zur Verfügung zu stellen, damit man durch eine wenn auch kleine Geste zeigt, dass der Elite der wohltätige Zweck wichtiger ist als das eigene "Egogewichse" - selbst wenn die Verleihung der Preise durchaus auch eine Würdigung der eigenen persönlichen Leistung darstellt.

Gerade der wohltätige Zweck wäre doch in diesem Jahr was die Gift-Bags angeht auch gut gewesen, den finanziellen Gegenwert im Kollektiv für Hilfsgüter an die Opfer des Ukraine-Kriegs zu spenden. Das ist immer noch effektiver als eine symbolische Gedenkminute.

Zur aktuellen Verleihung selbst bleibt mir zu sagen, dass mir persönlich die Kürzung der Verleihung (gerade bedingt durch die nicht live vergebenen Kategorien) nicht so gut gefallen hat, weil ich das als respektlos gegenüber dem Gewerk der Filmschaffenden empfinde - selbst wenn das dann in geschnittener Form in kurzen Clips eingebettet wird. Da hätte man durchaus viele der nicht wirklich zündenden Gags des Moderatorinnen-Trios und die Hosts komplett weglassen können - ebenso wie einige der extra gefeierten Jubiläen. Ob dem Hund bei der "In Memoriam"-Sektion das gefallen hat ? Ich wage es stark zu bezweifeln. Die doppelte musikalische Encanto-Ladung hätte es nicht gebraucht - vielleicht hat man auch festgestellt, dass man für Encanto den Bruno-Song hätte einreichen sollen, der wesentlich einprägsamer ist und sich einfach gedacht, dass man diesen auch noch braucht. Egal, Eilishs Performance und Gewinn haben mich nicht überrascht und gefreut. Genauso wie die technischen Preise für "Dune". Mit dem Gewinn von "CODA" habe ich nicht gerechnet und mal sehen, ob ich ihn mir irgendwann mal genauer unter die Lupe nehmen (und dafür extra die komplizierten Zugangsvoraussetzungen für einen Apple TV + Account schaffen) werde. Aber da wurde sicherlich auch ein wenig an "Sound of Metal" aus der vergangenen Verleihung gedacht, bei dem ja auch Gehörlosigkeit und der Verlust des Gehörs thematisiert worden ist. Klar ist es schön, dass durch den Erfolg von "CODA" Personen mit dieser Beeinträchtigung repräsentiert und ausgezeichnet werden, aber da hängt ein fader Beigeschmack mit, ob das nicht ein Mittel zum Zweck der Academy ist, sich damit nun extra brüsten zu wollen.

Der größte Talking Point der Veranstaltung ist jedoch die Fehde und der Eklat von Will Smith und Chris Rock, den man so in der Art hätte definitiv auch anders lösen können. Der Preis für Smith war irgendwie verdient, aber so hat das Ganze einen faden Beigeschmack. Da war die Wahl von Chris Rock als Presenter auch einfach problematisch, wenn man an Seitenhiebe von vor ein paar Jahren denkt und da sicherlich noch eine wesentlich komplexere Fehde der Beiden zugrunde liegen könnte.
"Weiter rechts, weiter rechts ! ..... "

Re: 94th Academy Awards (27. März 2022)

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Ich finde auch, dass das Filmangebot das zentrale Problem ist. Die Liste der besten Filme ist für das Gros der Zuschauer einfach viel zu uninteressant. Die meisten haben nie etwas davon gehört und werden sich diese Filme auch nicht ansehen. Dazu kommt noch, dass es Hollywood schon länger nicht mehr gelingt anspruchsvolle Filme zu produzieren die auch so unterhaltsam sind, dass sie Massen ins Kino locken. Die Beispiele in dem Beitrag muss ich jetzt nicht wiederholen, aber die sprechen für sich. Keiner der Oscargewinner der letzten Jahre wird es zu einem Klassiker bringen, geschweige denn irgendwie in Erinnerung bleiben.
Es gibt genug Festivals und Filmpreise, die sich schon immer der eingangs erwähnten Sorte von Filmen gewidmet haben, die Oscars standen für etwas anderes. Einen Mix aus Glamour, Starkino, Schauwerten und Anspruch. Bieten sie das nicht mehr, oder können sie das nicht mehr bieten, habe sie irgendwie ihre Daseinsberechtigung verloren. Man sieht es ja auch an den drastisch gesunkenen Einschaltquoten, die Oscars sind auch am Folgetag längst nicht mehr Gespräch in den Kaffeepausen etc., weil sie schlicht kaum mehr jemand interessieren. Ich persönlich finde das schade, aber wenn sich das Filmangebot und die Nominierungen nicht verändern, wird sich diese Entwicklung fortsetzen.
http://www.vodkasreviews.de


https://www.ofdb.de/autor/reviews/45039/

Re: 94th Academy Awards (27. März 2022)

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Interessant wäre die Einbindung von echter Interaktivität mit Filmfans und Kritikern weltweit - so dass man das Prinzip von Peoples Choice Awards und Critics Choice Awards noch ergänzt. Die Verleihung kann auch gut und gerne etwas länger sein, wenn man diesen Punkten und allen Kategorien Beachtung und Respekt schenkt. So könnten die Oscars durchaus noch tatsächlich um die Kategorie ergänzt werden, indem rein die Zuschauer weltweit ihren Film des Jahres wählen, basierend auf einer Nominierungsliste, die gleichermaßen Box-Office-Erfolg und Cinemascore berücksichtigt.
Desweiteren würde ich jedes Voting durch Grafiken visualisieren und auch je Kategorie einen silbernen Oscar verleihen, bei dem die Zuschauer ihren Favoriten (aus den Nominierungen) wählen.
"Weiter rechts, weiter rechts ! ..... "

Re: 94th Academy Awards (27. März 2022)

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Warum „Power of the Dog“ heißer Oscar-Kandidat war und immerhin für die beste Regie ausgezeichnet wurde, ist mir völlig schleierhaft. Gut, die Regiearbeit war vermutlich nicht schlecht, soweit ich das beurteilen kann, aber was will mir dieser Film denn sagen? Bitte, eine gute Geschichte zu erzählen ist kein Verbrechen. Zwei Brüder, einer nett, der andere nicht, der Nette heiratet, was dem nicht so Netten missfällt, weshalb er seine Schwägerin mobbt, sich später aber aus unbekannten Gründen mit deren Sohn anfreundet, und dann ist er tot. Dass hinter der rauen Schale ein weicher Kern vermutet werden kann (Studium in Yale, musikalische Seele), mag sein, ist für die Handlung und das Verständnis der Figur aber völlig ohne Belang, genauso wie die Frage, ob hinter der Zuneigung für seinen Neffen eine diffuse homosexuelle Seite steckt (in der entsprechenden Szene des Fast-Kusses schrie innerlich alles in mir: „Neeeeeiiinnn, bitte nicht noch ein Coming-Out-Drama!“). Schön gefilmte Langeweile, da habe ich mich schon bei fünfstündigen Wagner-Opern besser unterhalten gefühlt. Eine Begründung dafür, warum das alles als Spätwestern inszeniert werden musste, konnte ich auch nicht finden.
"Wenn man sämtliche Schöpfungen des weißen Mannes von diesem Planeten entfernte, besäßen seine Ankläger weder Zeit noch Mittel, ja nicht einmal Begriffe, um ihn mit Vorwürfen zu überhäufen."

Re: 94th Academy Awards (27. März 2022)

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vodkamartini hat geschrieben: 29. März 2022 06:42 Es gibt genug Festivals und Filmpreise, die sich schon immer der eingangs erwähnten Sorte von Filmen gewidmet haben, die Oscars standen für etwas anderes. Einen Mix aus Glamour, Starkino, Schauwerten und Anspruch. Bieten sie das nicht mehr, oder können sie das nicht mehr bieten, habe sie irgendwie ihre Daseinsberechtigung verloren. Man sieht es ja auch an den drastisch gesunkenen Einschaltquoten, die Oscars sind auch am Folgetag längst nicht mehr Gespräch in den Kaffeepausen etc.
Ja, aber das hat denke ich primär nicht mehr nur mit der Filmauswahl zu tun. 2019 hat mit "Green Book" ein Crowdpleaser gewonnen und große Titel wie "Black Panther" oder "Bohemian Rhapsody" waren mit im Rennen. Eigentlich also recht klassische Kandidaten und Sieger, auch wenn es durch die veränderte Filmlandschaft (enormes Gefälle zwischen U- und E-Kino) auch so ist, dass sich das bei den Oscars spiegelt.

Ein Problem sind die Sozialen Netzwerke. Die Oscars standen lange, wie du richtig schreibst, für Glamour und viel kam davon, dass sich die Filmikonen hier mal "privat" und außerhalb ihrer Filme gezeigt haben. Auf dem roten Teppich lief ein Star nach dem anderen auf, den man sonst nicht zu "fassen" bekam. Jetzt ist das anders: Jeder von denen hat Twitter, ist jeden Tag in der eigenen Instagram-Story zu sehen, ist überall, immer und ständig "privat". Da sind die Oscars nicht mehr länger exklusiv, nicht mehr länger aufregend. Jetzt sieht man sie mehr als das, was sie im Kern immer waren: Eine Veranstaltung, bei der Millionäre sich gegenseitig den Bauch pinseln.
https://filmduelle.de/
https://letterboxd.com/casinohille/

Let the sheep out, kid.

Re: 94th Academy Awards (27. März 2022)

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Das ist sicher was dran. Die Stars sind gläsern geworden, gleichzeitig torpedieren sie damit ihren Glamour-Status. Ein zweischneidiges Schwert. Aber in der heutigen, Aufmerksamkeit heischenden Zeit ist das irgendwie logisch und folgerichtig.

Rhapsody ist sicherlich ein treffendes Beispiel, das ist klassischer Oscar-Stoff. Dennoch empfinde ich es schon seit längerem so, dass die Auswahl immer langweiliger und am breiten Publikumsgeschmack vorbei geht. Man hat ja die Oscars früher immer dafür kritisiert, dass sie weniger auf Filmkunst geschaut haben als andere Festivals oder Veranstaltungen und genau deshalb waren sie mir so sympathisch. Ein Bekenntnis zur großen Geste, zum Glamour, zum Starkino. Kann man natürlich ablehen, aber dann schaut man halt mehr nach Cannes, Venedig, Locarno etc.

Es ist wohl eine Mischung aus diversen Faktoren, die den Status der Oscars in den letzten Jahren sukzessive gestutzt haben. Manche wird es freuen, mich stimmt es eine Stück weit melancholisch, denn mir haben sie immer sehr viel Spaß gemacht. Inzwischen langweilen sie, sind egal geworden.
http://www.vodkasreviews.de


https://www.ofdb.de/autor/reviews/45039/