Ridley Scotts Überraschungserfolg Gladiator sorgte Anfang des neuen Jahrtausends für eine kurze Renaissance von historischen Epen, so schickte beispielsweise Wolfgang Petersen Brad Pitt & Co. in den trojanischen Krieg und auch Regieexzentriker Oliver Stone nutzte im Jahr 2004 die Möglichkeit sein Wunschprojekt um Alexander den Großen zu stemmen, mit welchem er bereits viele Jahre schwanger gegangen war. Persönlich konnte ich mit Stones Film in der seinerzeit veröffentlichten 175 Minuten langen Kinofassung wenig anfangen. Die größten Mängel lagen für mich in einer äusserst holprigen Dramaturgie mit nicht funktionierenden Handlungssprüngen, schwach herausgearbeiteten Charakteren und einem generell sehr lahmenden Tempo. Stones offensichtliches Vorhaben eine möglichst detaillierte Charaterstudie des legendären makedonischen Herrschers auf die Leinwand zu bringen schien gescheitert, da stattdessen kaum mehr als einzelne, schlecht miteinander verknüpfte Bruchstücke dabei rauskamen.
Nachdem ich lange Jahre dann überhaupt keine Lust verspürt hatte den Film erneut zu sehen, gab ich der Kinofassung vor einigen Wochen dann doch nocheinmal eine Chance und siehe da: obwohl die gleichen Probleme nachwievor bestanden, konnte ich diesesmal auch viel gutes bis hervorragendes in der Kinofassung erkennen. Vor allem Stones oftmals meisterhafte Inszenierung der Actionszenen wie auch generell eine äusserst ansprechende und Stone-typisch sehr expressionistische Bildsprache und Schnittfolge verdeutlichten mir, dass hinter der problematischen Struktur der Kinofassung (welche Stone seinerzeit notgedrungen unter Zeitdruck und hinsichtlich der Laufzeit auf Betreiben seiner Geldgeber erstellt hatte) ein enorm ambitionierter und handwerklich versierter Film lauerte. Stone selbst war sich dessen wohl auch mehr als bewusst und so verwundert es wenig, dass er nach der eher enttäuschend verlaufenden Kinoauswertung insgesamt drei weitere Schnittfassungen veröffentlichte, in welchen er teilweise sehr drastische Veränderungen zur Kinofassung vornahm.
Zunächst veröffentlichte er den „Director’s Cut“, in welchem er rund eine halbe Stunde an Material des Kinocuts entfernte und durch neues Material ersetzte, wodurch erstaunlicherweise eine sogar noch kürzere Laufzeit von 167 Minuten herauskam. Vor allem änderte er aber sehr deutlich die Anordnung der einzelnen Szenen weg vom weitgehend chronologischen Aufbau der Erstveröffentlichung. Es folgte einige Jahre später im Rahmen der BD-VÖ der sogenannte „Final Cut“, in welchem er wiederum Änderungen an der Szenenabfolge vornahm, gleichzeitig aber Material der Kinofassung sowie auch neues Material einfügte, wodurch sich eine epische Laufzeit von 214 Minuten ergab. Doch auch damit nicht genaug, 2014 liess Stone eine weitere, 206-minütige Fassung folgen, diesmal mit dem optimistischen Titel „Ultimate Cut“ (langsam aber sicher gingen Stone die Steigerungsmöglichkeiten aus

Diesem „Ultimate Cut“ habe ich nach meinen positiven Eindrücken der jüngsten Kinofassungs-Sichtung nun eine Chance gegeben und was soll ich sagen: es ist tatsächlich fast ein komplett anderer Film. Weniger natürlich inhaltlich (wobei auch hier durch die vielen Szenenergänzungen ein wesentlich runderes Gesamtbild entstanden ist), als mehr im Hinblick auf Dramaturgie, Figurenzeichnung ein vor allem hinsichtlich Stones intendierter Gesamtaussage. Nun endlich kann man als Zuschauer die charakterliche Entwicklung Alexanders unter dem prägenden Einfluss seiner Eltern und seines gesellschaftlichen Umfeldes richtig verstehen. Durch den Verzicht auf einen chronologischen Aufbau sind die Schlüsselmomente in Alexanders Leben (gerade in seiner Beziehung zu seinen Eltern) nun punktgenau immer dort angeordnet, wo spätere Ereignisse die Folge dieser prägenden Momente darstellen. Das so entstehende Hin-und-her-Wechseln zwischen den zeitlichen Ebenen erfordert naturgemäß deutlich mehr Aufmerksamkeit vom Zuschauer (auch wenn Stone durch Einblendungen wie „10 years earlier“ oder „7 years later“ Hilfestellungen gibt), lässt den Film aber auch deutlich ambitionierter und durchdachter wirken als der hier vergleichsweise uninspirierte Kinocut.
Praktisch alle Komponenten des Films profitieren massiv von den Änderungen, so erlauben die deutlich längeren Szenen es den Darstellern nun endlich zu glänzen. Und glänzende Darstellerleistungen gibt es eine ganze Reihe, so hinterlassen vor allem die gewohnt souveränen Anthony Hopkins (als in einer Rahmenhandlung angelegter Erzähler (welche Stimme wäre dafür prädestinierter als die von Sir Tony!)) und Val Kilmer (in einer äusserst markigen Darbietung als Alexanders Vater Philip) nachhaltige Spuren. Am meisten profitieren aber die zuvor oftmals von der Kritik wenig freundlich bedachten Angelina Jolie und Colin Farrell. Vor allem Farrell zeigt eine wahre Powerhouse-Darstellung und weiss sowohl in den ruhigeren, emotionaleren Momenten als auch als charismatischer Anführer (seine Ansprache an seine Soldaten vor der Gaugamela-Schlacht ist schlicht brillant) zu überzeugen.
Besonders eindrucksvoll fand ich beim Ultimate Cut, dass der Film oftmals für sein Genre sehr ungewöhnliche und unerwartete Wege geht. Als Beispiel sei Stones Entscheidung erwähnt, die Szenen der Schlacht in Indien auf dem Höhepunkt mit starken Rot-Filtern zu verfremden und so die blutige Raserei wie auch das sich-im-Kampf-Verlieren zu unterstreichen. Auch verwundert die Entscheidung für Synthie-Gott Vangelis als Soundtrack-Komponist in der Papierform, erweist sich im Film aber als Geniestreich, da die Arbeit des griechischen Ausnahmekünstlers sowohl jede Menge grossartiger Melodien bietet als auch dem Film eine ganz eigenständige Note verleiht, sehr weit weg vom üblichen symphonischen Hollywood-Einheitsbrei. Beide genannten Beispiele sind zwar nicht exklusiv für den Ultimate Cut, kommen wie so viele andere Dinge aber durch die zahlreichen Änderungen jetzt erst wirklich zur Geltung.
Hinzukommt, dass Stones Inszenierung einfach eine Augenweide ist. Besonders spektakulär tritt dies innerhalb der beiden großangelegten Schlachtsequenzen zu Tage, welche Stone zu einer meisterhaften Mischung aus fieberhaften Stakkato-Schnitten, atmosphärischen Panoramashots und epischen Momenten in Zeitlupe gestaltet. In nicht weniger beeindruckender Manier zieht sich Stones handwerkliche Meisterschaft aber durch den ganzen Film, etwa wenn er immer wieder mit kurzen, unerwarteten Zwischenschnitten arbeitet, um die Gedankenwelt seines Protagonisten zu verdeutlichen.
In Summe bleibt festzuhalten, dass Stone mit dem Ultimate Cut von Alexander wirklich der große Wurf gelungen ist. Ich gehe so weit und sage, dass ich keinen anderen Film kenne, der so massiv und positiv von den Änderungen einer nachgereichten Schnittfassung profitiert wie Alexander. Als einziger kleiner Wehrmutstropfen bleibt zu erwähnen, dass der Film im Mittelteil immer noch die eine oder andere kleine Länge aufweist, wobei das durch den neuen, cleveren Aufbau aber wirklich kaum noch ins Gewicht fällt. In dieser ultimativen Fassung ist Alexander nun wahrlich das Epos, das es sein sollte und ist damit in der Lage den Zuschauer für dreieinhalb Stunden in eine ganz andere Welt zu entführen. Wirklich erstaunlich, war Alexander bis vor kurzem für mich noch das Synonym für den Niedergang des (einstigen) Ausnahmeregisseurs Oliver Stone, so würde ich ihn mittlerweile in dieser Fassung zu seinen allerbesten Werken zählen.
Wertung: 9 / 10