Re: The Artist

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Samedi hat geschrieben:Und das mit "La La Land" ist schon deshalb ein Äpfel mit Birnen Vergleich, weil dort auch nicht dem Stummfilm Tribut gezollt wird, sondern den Revue- und Musicalfilmen, die es ja heute (im Gegensatz zum Stummfilm) auch noch gibt.
Nein, nicht wirklich. La La Land ist eine Hommage an die große Hollywood-Musical-Ära der 50er (von Regisseuren wie Stanley Donen und Gene Kelly), aber mit den Mitteln und Ideen eines Jacques Demy umgesetzt (und glaube mir, in quasi JEDER Rezension zu La La Land, die halbwegs was taugt, wird auf den Vergleich zu Demy eingegangen). La La Land ist also durchaus eine Liebeserklärung an ein ausgestorbenes Filmgenre und kein bisschen mit Musical-Filmen von heute vergleichbar. Der Unterschied zu The Artist ist für mich nur der, dass La La Land trotz aller Nostalgie im Kern sehr (post-)modern ist, wo The Artist nur eine Reinkarnation bleibt, was man dem Film nicht übelnehmen muss, was ihn für mich aber etwas altbacken ausschauen lässt (trotz eines fantastischen Jean Dujardin). Die OSS 117 Filme erfüllen da meinen Anspruch an einen Mix aus modernem Kino und klarem Bekenntnis zu altmodischem Kino deutlich besser, aber ich habe kein Problem damit, wenn du/ihr das anders seht.
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Re: The Artist

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Casino Hille hat geschrieben:La La Land ist also durchaus eine Liebeserklärung an ein ausgestorbenes Filmgenre und kein bisschen mit Musical-Filmen von heute vergleichbar.
Selbst wenn dieser Befund zutreffen würde (was er nicht tut, weil auch aktuelle Musicals dem gleichen Genre zuzuordnen sind), dann ist der Unterschied doch, dass "The Artist" nicht nur einem Genre, sondern einer ganzen Filmepoche huldigt, die ausgestorben ist und nicht nur irgendwie etwas anders daherkommt.
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Re: The Artist

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Casino Hille hat geschrieben:La La Land ist eine Hommage an die große Hollywood-Musical-Ära der 50er (von Regisseuren wie Stanley Donen und Gene Kelly)
Samedi hat geschrieben:dann ist der Unterschied doch, dass "The Artist" nicht nur einem Genre, sondern einer ganzen Filmepoche huldigt
Ich finde den Unterschied nicht. :)

Aber macht ja nichts Samedi, du musst ja nicht meiner Meinung sein. Dass der Befund nicht zutrifft, kannst du aber denke ich schwer beurteilen, da du La La Land offensichtlich komplett anders siehst als 98 Prozent aller Rezensenten, die ich gelesen habe und aller Zuschauer, mit denen ich über den Film gesprochen habe. Ist aber nicht weiter wild. La La Land berührt mich, The Artist nicht. Darauf kommt's am Ende an.
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Re: The Artist

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Ich habe doch La La Land gar nicht kritisiert. Ich finde nur, dass er aus mehreren Gründen automatisch "moderner" wirkt als es eine Hommage an die Stummfilmzeit überhaupt sein könnte. Und zwar egal wie man diese gedreht hätte.
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Re: The Artist

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Und ich habe genau dem widersprochen. Auch ein Stummfilm kann heute sehr modern umgesetzt sein, auch ein bewusst an die uralten Stummfilme angelehnter Film kann heute sehr modern sein. Über seine Inszenierung, seinen Subtext. Es gibt da viele Möglichkeiten. Die mir aber zu wenig genutzt werden. :wink: Der Vergleich zu La La Land sollte nur meine ungefähre Denke veranschaulichen, du hast das wichtiger genommen als es war und gleich eine Äpfel/Birnen Situation daraus gemacht.

Einigen wir uns darauf, dass der Artist ein schöner Film ist, der mich aber nicht erreicht, weil es viel bessere Stummfilme gibt.
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Re: The Artist

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Casino Hille hat geschrieben:Auch ein Stummfilm kann heute sehr modern umgesetzt sein, auch ein bewusst an die uralten Stummfilme angelehnter Film kann heute sehr modern sein. Über seine Inszenierung, seinen Subtext. Es gibt da viele Möglichkeiten. Die mir aber zu wenig genutzt werden. :wink:
Zum Beispiel? Mich interessiert einfach, was du genau anders gemacht hättest.
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Re: The Artist

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Casino Hille hat geschrieben:Und ich habe genau dem widersprochen. Auch ein Stummfilm kann heute sehr modern umgesetzt sein, auch ein bewusst an die uralten Stummfilme angelehnter Film kann heute sehr modern sein. Über seine Inszenierung, seinen Subtext. Es gibt da viele Möglichkeiten.
Genau, Samedi argumentiert mal wieder auf allerdünnsten Eis.

Re: The Artist

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Na, Samedis generelle Argumentation in allen Ehren, aber jetzt würde mich auch mal interessieren, wie ein Stummfilm heute wirklich modern wirken soll. Wirklich ganz aus Interesse. Finde das eigentlich sehr logisch, was Samedi gesagt hat.
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Re: The Artist

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Nico hat geschrieben: jetzt würde mich auch mal interessieren, wie ein Stummfilm heute wirklich modern wirken soll. Wirklich ganz aus Interesse.
Ich verstehe eher nicht, warum das umgekehrt so abwegig sein soll. Warum soll man in einem Stummfilm nicht moderne Themen verhandeln können? Warum soll ein Stummfilm nicht genau auf dieselbe Art zeitgemäße Inhalte verhandeln, wie jeder andere Film jedes anderen Genres das auch kann? Selbst Historienfilme (die noch spezifischer an eine Handlungszeit gebunden sind als Stummfilme) blicken gerne unterschwellig auch in die Gegenwart, selbst weniger geglückte Filme wie jüngst Ridley Scotts Exodus (im Stoff ein Bibeldrama) wusste den Stoff so zu arrangieren, dass er moderne Lesarten vertragen kann und auch unter dem Blickwinkel des 21. Jahrhunderts Relevanz hat. Warum genau soll das bei einem Stummfilm nicht möglich sein? La La Land ist doch auch einerseits ein klassisches Musical der 50er, vermengt dies aber mit einem frischen, alternativen Blickwinkel, der das alte glamouröse Moment der Vorbilder aufgreift und konterkariert. Der eben etwas mit diesen Genremotiven anfängt, sie weiter entwickelt und transferiert. Und damit mehr ist als nur ein Wiederaufguss einer vergangenen Ära. La La Land macht das grötenteils über die Bildsprache, aber auch über die Themen und Inhalte des Films. The Artist versucht das in Teilen auch, aber für meinen Geschmack einfach zu wenig. Er fühlt sich zu sehr an, als wäre er nur ein weiterer Film aus der Zeit, aus der er stammt, mir fehlt das bewusste selbstverständlich präsentierte "Neue" Element darin, dass ich in einem Film von 1925 nicht finden würde. Vermutlich wollte The Artist das auch gar nicht haben und gefällt sich einfach nur als Hommage, was vollkommen okay ist - mir aber einfach nicht so gut gefällt wie die andere Möglichkeit.

The Artist sehe ich als einen Film, der huldigt, sich verneigt und das alte Hollywood-Kino, das klassische Hollywood, verehrt. Er bedient sich vieler Mittel von Regisseuren wie Keaton, Vidor, Lloyd, Taurog, Griffith, Fairbanks oder meinetwegen auch Chaplins frühen Werken, lässt sie wieder aufleben und bringt nebenbei ein wenig Kapitalismuskritik ein. Das kann einem reichen. Muss es aber nicht. Mehr habe ich gar nicht gesagt. Er hat ja auch starke Momente, wenn er sich aus dem Korsett eines klassischen Stummfilms löst (etwa, wenn dann doch plötzlich Ton integriert wird). Solche Ideen (also welcher dieser Bedeutsamkeit) hätte ich gerne noch viel mehr gesehen. Aber wie wiederholt gesagt: Ich mochte ihn. Er wäre mir auf jeden Fall vielleicht 7 Punkte wert. Keine Frage.

Oder um von der blöden "Modern"-Floskel wegzukommen: The Artist ist gut, hat für mich aber kaum Eigenständigkeit, nichts, worin besonders DIESER Film herausragend ist.
Spoiler
Blöde Idee und auch nicht ganz ausgereift jetzt zu Ende gedacht, aber nur mal so als Idee (und bitte nicht vergessen: ich bin kein Künstler, und werde es auch nie sein) meinerseits: Was wäre denn, wenn der Film in einer Welt gespielt hätte, in der es tatsächlich keine Akustik gibt? Also einer Welt, die wirklich stumm ist? Klingt jetzt bescheuert, aber ich finde, das hätte dem Stilmittel des bewussten "Tonauslassens als Hommage" einen zusätzlichen Twist und eine neue Relevanz gegeben. Was wäre gewesen, wenn erst der im Film laufend thematisierte Fortschritt der Technik diesen Umstand ändert und quasi Akustik in der Welt erzeugt, aber der Protagonist, da er sich fortlaufend vor der Modernisierung der Technik verschließt und diese nicht akzeptieren will, am Ende auch der Einzige ist und bleibt, der nicht hören kann? Ich denke, auf diese Art hätte man interessante Ideen transferieren und kommunizieren können und der Hommage eben auch eine zusätzliche Bedeutung anhaften, den Film eben "modern" machen. Klar ist, der Film wäre fundamental anders geworden und hätte eine ganz andere Form von Lesarten, einen anderen Diskurs provoziert. Aber das wollte man nicht und noch mal: Das ist okay. Nur eben nicht so ganz mein Ding.

PS: Maibaum, falls es einen solchen Film, wie ich ihn mir grade im Kopf vorstelle schon gibt, sag es mir bitte nicht. Bin grade zu stolz auf meine Idee. :lol:
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Re: The Artist

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Casino Hille hat geschrieben:Ich verstehe eher nicht, warum das umgekehrt so abwegig sein soll. Warum soll man in einem Stummfilm nicht moderne Themen verhandeln können? Warum soll ein Stummfilm nicht genau auf dieselbe Art zeitgemäße Inhalte verhandeln, wie jeder andere Film jedes anderen Genres das auch kann?
Weil er selbst dann noch schwarzweiss und ohne gesprochene Dialoge wäre und demnach automatisch nicht so "modern" wirken würde wie ein farbiger Tonfilm wie "La La Land". Und ich möchte nochmal darauf hinweisen, dass ein Stummfilm eben kein "Genre" ist, weshalb der Verweis auf "andere Genres" auch völlig aus der Luft gegriffen ist.
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Re: The Artist

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Ich wüsste jetzt nicht warum ein Stummfilm nicht trotzdem supermodern sein sollte. Das hat nichts mit Ton, Farbe oder Bildformat zu tun, sondern mit der Machart.

Ach, und es gab auch schon in den 20ern farbige Stummfilme, und ein moderner Stummfilm müsste natürlich nicht s/w sein. Dafür gibt es nicht den geringsten Grund. Und er muß schon gar keine Hommage sein.

Re: The Artist

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Maibaum hat geschrieben:Ich wüsste jetzt nicht warum ein Stummfilm nicht trotzdem supermodern sein sollte. Das hat nichts mit Ton, Farbe oder Bildformat zu tun, sondern mit der Machart.

Ach, und es gab auch schon in den 20ern farbige Stummfilme, und ein moderner Stummfilm müsste natürlich nicht s/w sein. Dafür gibt es nicht den geringsten Grund. Und er muß schon gar keine Hommage sein.
Man hätte den Film ja auch in 3D drehen können, damit er "moderner" wirkt und den hohen Ansprüchen mancher Zuschauer genügt. :mrgreen:
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Re: The Artist

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Samedi hat geschrieben:Weil er selbst dann noch schwarzweiss und ohne gesprochene Dialoge wäre und demnach automatisch nicht so "modern" wirken würde wie ein farbiger Tonfilm wie "La La Land".
Wenn du gelesen hättest, was ich geschrieben habe, wüsstest du, dass es mir um Inhalte, Substanz und diesen Firlefanz geht. Um eine moderne Denkweise, eine moderne Herangehensweise. Die Ton- und Farblosigkeit kümmern dafür nicht. "Frantz", ein herausragender Film aus dem Jahre 2016 von François Ozon, ist größtenteils in Schwarzweiß gefilmt und trotzdem modernes Kino und das obwohl er in der ersten Hälfte sehr stark an einen alten Lubitsch Film angelehnt ist ("Broken Lullaby"; falls es wen interessiert). Aber ich habe ja auch geschrieben, dass es nicht um den Begriff modern an sich geht, sondern darum, ob der Film nur Hommage sein will oder darüber hinaus ein Eigenleben, ein Alleinstellungsmerkmal entwickelt. Und dazu habe ich meinen Standpunkt jetzt auf Nicos Nachfrage hin ausführlich dargelegt. Endlos wiederholen möchte ich mich nicht.

Witzig ist nur, dass der arme "The Artist" jetzt tausendfach schlechter wegkommt, als ich das wollte. Immerhin mag ich ihn doch. Das habt ihr nun davon.
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