Nico hat geschrieben: jetzt würde mich auch mal interessieren, wie ein Stummfilm heute wirklich modern wirken soll. Wirklich ganz aus Interesse.
Ich verstehe eher nicht, warum das umgekehrt so abwegig sein soll. Warum soll man in einem Stummfilm nicht moderne Themen verhandeln können? Warum soll ein Stummfilm nicht genau auf dieselbe Art zeitgemäße Inhalte verhandeln, wie jeder andere Film jedes anderen Genres das auch kann? Selbst Historienfilme (die noch spezifischer an eine Handlungszeit gebunden sind als Stummfilme) blicken gerne unterschwellig auch in die Gegenwart, selbst weniger geglückte Filme wie jüngst Ridley Scotts Exodus (im Stoff ein Bibeldrama) wusste den Stoff so zu arrangieren, dass er moderne Lesarten vertragen kann und auch unter dem Blickwinkel des 21. Jahrhunderts Relevanz hat. Warum genau soll das bei einem Stummfilm nicht möglich sein? La La Land ist doch auch einerseits ein klassisches Musical der 50er, vermengt dies aber mit einem frischen, alternativen Blickwinkel, der das alte glamouröse Moment der Vorbilder aufgreift und konterkariert. Der eben etwas mit diesen Genremotiven anfängt, sie weiter entwickelt und transferiert. Und damit mehr ist als nur ein Wiederaufguss einer vergangenen Ära. La La Land macht das grötenteils über die Bildsprache, aber auch über die Themen und Inhalte des Films. The Artist versucht das in Teilen auch, aber für meinen Geschmack einfach zu wenig. Er fühlt sich zu sehr an, als wäre er nur ein weiterer Film aus der Zeit, aus der er stammt, mir fehlt das bewusste selbstverständlich präsentierte "Neue" Element darin, dass ich in einem Film von 1925 nicht finden würde. Vermutlich wollte The Artist das auch gar nicht haben und gefällt sich einfach nur als Hommage, was vollkommen okay ist - mir aber einfach nicht so gut gefällt wie die andere Möglichkeit.
The Artist sehe ich als einen Film, der huldigt, sich verneigt und das alte Hollywood-Kino, das klassische Hollywood, verehrt. Er bedient sich vieler Mittel von Regisseuren wie Keaton, Vidor, Lloyd, Taurog, Griffith, Fairbanks oder meinetwegen auch Chaplins frühen Werken, lässt sie wieder aufleben und bringt nebenbei ein wenig Kapitalismuskritik ein. Das kann einem reichen. Muss es aber nicht. Mehr habe ich gar nicht gesagt. Er hat ja auch starke Momente, wenn er sich aus dem Korsett eines klassischen Stummfilms löst (etwa, wenn dann doch plötzlich Ton integriert wird). Solche Ideen (also welcher dieser Bedeutsamkeit) hätte ich gerne noch viel mehr gesehen. Aber wie wiederholt gesagt: Ich mochte ihn. Er wäre mir auf jeden Fall vielleicht 7 Punkte wert. Keine Frage.
Oder um von der blöden "Modern"-Floskel wegzukommen: The Artist ist gut, hat für mich aber kaum Eigenständigkeit, nichts, worin besonders DIESER Film herausragend ist.
Blöde Idee und auch nicht ganz ausgereift jetzt zu Ende gedacht, aber nur mal so als Idee (und bitte nicht vergessen: ich bin kein Künstler, und werde es auch nie sein) meinerseits: Was wäre denn, wenn der Film in einer Welt gespielt hätte, in der es tatsächlich keine Akustik gibt? Also einer Welt, die wirklich stumm ist? Klingt jetzt bescheuert, aber ich finde, das hätte dem Stilmittel des bewussten "Tonauslassens als Hommage" einen zusätzlichen Twist und eine neue Relevanz gegeben. Was wäre gewesen, wenn erst der im Film laufend thematisierte Fortschritt der Technik diesen Umstand ändert und quasi Akustik in der Welt erzeugt, aber der Protagonist, da er sich fortlaufend vor der Modernisierung der Technik verschließt und diese nicht akzeptieren will, am Ende auch der Einzige ist und bleibt, der nicht hören kann? Ich denke, auf diese Art hätte man interessante Ideen transferieren und kommunizieren können und der Hommage eben auch eine zusätzliche Bedeutung anhaften, den Film eben "modern" machen. Klar ist, der Film wäre fundamental anders geworden und hätte eine ganz andere Form von Lesarten, einen anderen Diskurs provoziert. Aber das wollte man nicht und noch mal: Das ist okay. Nur eben nicht so ganz mein Ding.
PS: Maibaum, falls es einen solchen Film, wie ich ihn mir grade im Kopf vorstelle schon gibt, sag es mir bitte nicht. Bin grade zu stolz auf meine Idee.
