Welcher Film von Jean-Pierre Melville ist der beste?

Das Schweigen des Meeres (1947) (Keine Stimmen)
Die schrecklichen Kinder (1950) (Keine Stimmen)
Und keine blieb verschont (1953) (Keine Stimmen)
Drei Uhr nachts (1955) (Keine Stimmen)
Zwei Männer in Manhattan (1959) (Keine Stimmen)
Eva und der Priester (1961) (Keine Stimmen)
Der Teufel mit der weißen Weste (1962) (Keine Stimmen)
Die Millionen eines Gehetzten (1963) (Keine Stimmen)
Der zweite Atem (1966) (Keine Stimmen)
Der eiskalte Engel (1967)
Insgesamt abgegebene Stimmen: 2 (50%)
Armee im Schatten (1969) (Keine Stimmen)
Vier im roten Kreis (1970)
Insgesamt abgegebene Stimmen: 1 (25%)
Der Chef (1972)
Insgesamt abgegebene Stimmen: 1 (25%)
Insgesamt abgegebene Stimmen: 4

Trenchcoats & Hüte - Die Filme des Jean-Pierre Melville

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So ein bisschen war Jean-Pierre Melville der spirituelle Vater der Nouvelle Vague. Nachdem er als elsässischer Jude im Zweiten Weltkrieg Teil der Résistance war, erarbeitete er sich 1947 seinen ersten eigenen Spielfilm ("Das Schweigen des Meeres") ohne finanzielle Unterstützung bestehender Studios. Er lieh sich das Geld für sein außergewöhnlich psychologisches Kammerspiel bei Freunden und brachte es unabhängig in die Kinos. Von anderen Filmschaffenden erntete er dadurch Geringschätzung. Die Außenseiter-Rolle stand ihm: Er selbst mochte das französische Kino seiner Zeit kaum, war eher vom amerikanischen Film inspiriert. Besonders die Regisseure William Wyler, Robert Wise, John Huston und Frank Capra hatten es ihm angetan. Er stellte damals eine Liste mit sechzig in seinen Augen großartigen Filmemachern aus den USA zusammen. Alle anderen hielt er für weniger wertig.

Man muss nicht lang suchen, um diese Einstellung in seinen Filmen zu entdecken. Der finnische Filmemacher Aki Kaurismäki, der selbst angibt, sich seine Inspirationen immer wieder von Melvilles Werken zu holen, fasste dessen Filmografie mal so zusammen, dass sich jeder seiner Filme in drei Akte teilen lasse: Der erste Akt handelt von Einsamkeit, der zweite Akt erzählt von Freundschaft und im dritten Akt kommt es zu einem Verrat. Eine scharfe Beobachtung, die auf gleich mehrere seiner Klassiker verblüffend genau zutrifft, doch es sind zwei modische Accessoires, die Melvilles Filme verbinden wie bei keinem anderen Regisseur: der Trenchcoat und der Hut.

Er selbst gab 1972 in einem Interview in der "Les cahiers de la Cinémathèque No 25" an, stets einen Hut zu tragen, obwohl "der Homo Gallicus damit vor 25 Jahren aufgehört" habe. Er glaubte, das Gestalten von Charakteren geschehe vor allem über ihre Kleidung. In beinahe jedem seiner Filme gibt es mindestens eine Szene, in der Figuren sich einkleiden, meist mit den Trenchcoats, die den US-amerikanischen Film noir prägten. Es ist Teil einer Fetischisierung, die für Melvilles Kino unerlässlich ist. Mit diesen Accessoires wollte er seine Figuren stilisieren, denn, so war er überzeugt: "Über stilisierte Figuren lacht niemand." Er lasse Charaktere sich so verhalten, wie er sich verhalte, denn so würden "aus Marionetten reale Menschen werden".

Die radikale Selbstbestimmung über den Film als Handwerk, den man in allen Ebenen, vom Skript bis zur Montage, beherrschen muss, ähnelte der der Anfang der 1960er aufkeimenden Nouvelle Vague. In Jean-Luc Godards "Außer Atem" hat Melville einen Gastauftritt. Doch während die Nouvelle Vague sich durch eine stilistische Unbekümmertheit kennzeichnete, erkannte man einen Melville sofort am prägnanten, kühlen und präzisen Stil des perfektionistischen Regisseurs. Sein Résistance-Drama "Armee im Schatten" ist dabei eben so deutlich und leicht erkennbar sein Werk, wie seine Gangsterfilme, darunter prägende Meisterwerke wie "Der eiskalte Engel" und "Vier im roten Kreis". Dennoch oder wohl eher aufgrund seines strengen Formalismus galt er der einflussreichen Kino-Zeitschrift Cahiers du cinéma lange als zu traditionell, die große Anerkennung erfuhr seine Filmografie erst spät. Davon bekam er nicht so viel mit: 1973 verstarb er im Alter von nur 55 Jahren an einem Schlaganfall.

Es ist etwas bittere Ironie, dass seine Filme, je näher er seinem eigenen Tod kam, immer pessimistischer und fatalistischer wurden. Ein Happy End assoziiert man mit Melville nicht. Nicht selten verarbeitete er in seinen Genrefilmen philosophische Thesen zum Determinismus. Das tragische Element seiner Geschichten wird stets durch den Zufall herbeigeführt, auf den er überdeutlich verweist. "Das bürgerliche Mysterium", wie es in Alfred Hitchcocks großen Kriminalfilmen (so etwa in "Der unsichtbare Dritte" oder "Die 39 Stufen") im Mittelpunkt steht, war für Melville nicht interessant. Im Zentrum seiner Arbeiten steht meist die Gegenüberstellung zwischen den Gesetzlosen auf der einen Seite und dem Schicksal auf der anderen Seite - herbeigeführt durch die Vertreter des Gesetzes, ob nun durch Polizisten oder Privatdetektive.

Um einen guten Film zu machen - so sagte er selbst - braucht es nur zwei Dinge:

"Erstens die Bearbeitung der Geschichte, die viel wichtiger ist als die Geschichte selbst. Heute könnte ich einen schlechten Kriminalroman nehmen und einen guten Film daraus machen. Wenn ich müsste, würde ich das machen, nur um mir zu beweisen, dass ich Recht habe. Zweitens muss man die Schauspieler animieren, gut zu spielen. Fälschlicherweise hängt das nicht davon ab, ob sie Stars sind. Man braucht gute Schauspieler mit einer guten äußeren Erscheinung, man muss sie lenken und ihnen eine Ethik vorschreiben. Wenigstens ihre Rolle sollte eine Ethik vertreten."

Und - möchte man hinzufügen - wenn sie noch einen Trenchcoat und einen Hut tragen, wäre das auch nicht verkehrt.
https://filmduelle.de/
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Let the sheep out, kid.

Re: Zuletzt gesehener Film

2
Armee im Schatten
Netter Film über die Resistance aber leider auch nichts besonderes. Der Film ist mehr Episodenhaft angelegt was bei über zwei Stunden Laufzeit schon den Film (in diesem Fall) etwas zieht.

6,5/10
"In a Bond film you aren't involved in cinema verite or avant-garde. One is involved in colossal fun."

Terence Young

Re: Zuletzt gesehener Film

3
MX87 hat geschrieben:Armee im Schatten
Netter Film über die Resistance aber leider auch nichts besonderes. Der Film ist mehr Episodenhaft angelegt was bei über zwei Stunden Laufzeit schon den Film (in diesem Fall) etwas zieht.

6,5/10
Sehr guter Film. Melville vom Besten. Habe ich als Meisterwerk in Erinnerung.

Re: Zuletzt gesehener Film

4
Maibaum hat geschrieben:
MX87 hat geschrieben:Armee im Schatten
Netter Film über die Resistance aber leider auch nichts besonderes. Der Film ist mehr Episodenhaft angelegt was bei über zwei Stunden Laufzeit schon den Film (in diesem Fall) etwas zieht.

6,5/10
Sehr guter Film. Melville vom Besten. Habe ich als Meisterwerk in Erinnerung.
Ich muss zugeben ich habe künstlerisch nur wenig erkannt. Dramaturgisch gibt es keine großen Kniffe, Handlungstechnisch ist man eher dokumentarisch als dramatisierend ausgelegt und in der cinematografie ist es ähnlich.

Ein guter Film keine Frage, aber für ein Meisterwerk fehlt mir da noch einiges...
"In a Bond film you aren't involved in cinema verite or avant-garde. One is involved in colossal fun."

Terence Young

Re: Zuletzt gesehener Film

5
MX87 hat geschrieben:
Maibaum hat geschrieben:
MX87 hat geschrieben:Armee im Schatten
Netter Film über die Resistance aber leider auch nichts besonderes. Der Film ist mehr Episodenhaft angelegt was bei über zwei Stunden Laufzeit schon den Film (in diesem Fall) etwas zieht.

6,5/10
Sehr guter Film. Melville vom Besten. Habe ich als Meisterwerk in Erinnerung.
Ich muss zugeben ich habe künstlerisch nur wenig erkannt. Dramaturgisch gibt es keine großen Kniffe, Handlungstechnisch ist man eher dokumentarisch als dramatisierend ausgelegt und in der cinematografie ist es ähnlich.

Ein guter Film keine Frage, aber für ein Meisterwerk fehlt mir da noch einiges...
Mir gefiel da Im roten Kreis deutlich besser, Armee im Schatten war mir zu sperrig und wie MX87 schon sagte zu epsiodenhaft. Hinzu kam, dass die DVD-Umsetzung GRAUENHAFT ist, Reent Reints (Don Johnson Standardsprecher) auf Lino Ventura geht ja mal gar nicht, die Neusynchro macht zudem die ganze Stimmung des Films kaputt. Am schlimmsten war aber das völlig verpixelte Bild, bei den diversen nebeligen/nächtlichen Szenen sieht man fast nur Klötzchen. Aber auch mit besserer DVD-Umsetzung würde ich dem Film nicht mehr als 6,5 Punkte geben.
"Ihr bescheisst ja!?" - "Wir? Äh-Äh!" - "Na Na!"

Re: Zuletzt gesehener Film

6
Lange nicht mehr gesehen, aber Armee im Schatten ist Melvilles persönliche Aufarbeitung seiner Resistance Erlebnisse, aber gedreht in der unterkühlt stilisierten Art seiner Gangsterfilme. Und gar nicht verklärend.

Weiß nicht ob ich das dokumentarisch nennen würde.

Re: Zuletzt gesehener Film

7
Maibaum hat geschrieben:Lange nicht mehr gesehen, aber Armee im Schatten ist Melvilles persönliche Aufarbeitung seiner Resistance Erlebnisse, aber gedreht in der unterkühlt stilisierten Art seiner Gangsterfilme. Und gar nicht verklärend.

Weiß nicht ob ich das dokumentarisch nennen würde.
Naja in Schnitt, Bildaufbau, Kameraführung etc sind keine wirklichen Schnörkel zu finden. Vieles halt einfach nüchtern abgefilmt. Dazu kommt die stark reduzierte Farbpalette, die an manche Farbaufnahmen aus dem 2. Weltkrieg erinnert. Der Film ist keine Pseudodokumentation, aber eine gewisse Nähe ein dokumentarisches Feeling erzeugen zu wollen kann man meiner Meinung nach nicht wirklich abstreiten.
"In a Bond film you aren't involved in cinema verite or avant-garde. One is involved in colossal fun."

Terence Young

Re: Zuletzt gesehener Film

8
Letzten Montag kam Jean Pierre Melvilles Le samourai (1967) (auf schlecht deutsch Der eiskalte Engel) auf Arte. Zum ersten Mal ungekürzt in Deutschland, obwohl ich annehme daß sich Ofdb da evtl. täuscht in Bezug auf die letzte Arte Ausstrahlung vor ein paar Jahren.
Fehlende Szenen waren nachsynchronisiert. Es war denke ich eine restaurierte Fassung, aber es sah nicht wirklich nach HD aus. Seltsamerweise hat dieser Kult Film bis heute keine deutsche DVD Veröffentlichung erfahren. Ein Rechtestreit vielleicht?

Jedenfalls, wenn jemand sagt Le samourai sei der beste Gangsterfilm aller Zeiten, dann würde ich zumindest nicht widersprechen.

Re: Zuletzt gesehener Film

9
Besser als der Pate? Ich war vom Eiskalten Engel nie so übermäßig begeistert, fand ihn ganz gut aber für meinen Geschmack war er zu stilisiert, ein typischer Melville halt. Vier im roten Kreis mochte ich mehr. Aber die farbige Pianistin war schon ein echter Hingucker.
Zuletzt geändert von AnatolGogol am 6. Oktober 2013 22:27, insgesamt 1-mal geändert.
"Ihr bescheisst ja!?" - "Wir? Äh-Äh!" - "Na Na!"

Re: Zuletzt gesehener Film

10
Der Chef (1972, Jean-Pierre Melville)

Auffallend kühler und stilisierter Policier, der aus Stimmung und Atmosphäre oft mehr herausholt, als der eher lasche Stoff eigentlich möglich macht. So erinnert die (fast wortlose) langgezogene Anfangssequenz, in der drei Räuber langsam und detailliert eine Bank im Nirgendwo einkesseln ein wenig an Leone, und eine rund fünfzehnminütige Echtzeit-Szene im Mittelteil, in der einer der Banditen sich von einem Hubschrauber auf einen fahrenden Nachtzug abseilt, sich als schlafloser Passagier verkleidet und eine Drogenlieferung entwendet um wieder zu verschwinden (wiederum fast ohne Worte und sehr akribisch detailliert) erinnert ein wenig an Hitchcock. Mehr Lob geht eigentlich nicht, aber das waren auch schon die Höhepunkte dieses Films der ansonsten durch die sehr dünne Krimihandlung, die etwas wirre Umsetzung und die viel zu kurze Laufzeit wenig bieten kann.

Wertung: 6 / 10
We'll always have Marburg

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Re: Zuletzt gesehener Film

12
Maibaum hat geschrieben:Dein erster Melville Film?

Ich finde der hat schon ein wenig mehr zu bieten, aber ich mag Melvilles Vorgänger Filme mehr. 8/10
Ja.

Nachwirkend scheint er mehr zu wachsen als zu schrumpfen, ich werde ihn also durchaus im Hinterkopf behalten und gut möglich, dass bei einer Neusichtung plötzlich eine 7 oder 8 daraus wird. Ich glaube ich habe vieles erst zum Ende verstanden und wenn man das pessimistische Ende kennt sieht man vielleicht einiges beim Zweiten Mal aus einem anderen Blickwinkel.
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Re: Zuletzt gesehener Film

13
Melville hatte auf jeden Fall andere Interessen als eine normale Krimihandlung zu erzählen. Er war neben Leone der größte Stilist des europäischen Genre Kinos.

Ich finde auch das dem Film vorangestellt Motto stark:

"Zweierlei Empfindungen ruft der Anblick eines Menschen in einem Polizisten wach: tiefstes Mißtrauen und Verachtung"