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von 007James Bond
Agent
Révolution!
In den vergangenen Monaten habe ich viele Filme aus den Pre-60ern gesehen und kann nun mit Sicherheit sagen, dass DN eine kleine Revolution des Kinos war.
Zum einen stellt der weltgewandte Spion, der dank seines unbegrenztem Etat das exklusivste trägt, konsumiert und bezieht, eine völlig neue Perspektive eines vom Film relativ unberührtem Roman-Genre - dem Spionagethriller - dar, zum anderen macht Sex im Film einen Quantensprung und Ken Adams Production Design schreibt Geschichte.
Das Modell der Überwasseranlage von Dr. No und die Special Effects der Explosion wirken heute noch auf den ersten Blick authentisch und müssen dem damaligen Publikum erst recht diesen Eindruck vermittelt haben. Was diese Sets so glaubwürdig macht, ist, dass sie immer auf den Charakter des örtlichen Bauwesens aufgebaut sind. Die rostbraune Überwasseranlage ist mit dem überholten Wesen der Mittel – Südamerikanischen Infrastruktur zu verbinden. Das lässt dann auch nicht die Anlage unterhalb der Erde und vor allem den Hochstielirisierten Kontrollraum wie von einem anderen Stern erscheinen.
Zum anderen macht auch die Symbolik der Sets die Faszination aus. Sie spiegeln häufig die kulturelle Abstammung und den Charakter von Figuren dar. Bonds viktorianisch eingerichtetes Appartement steht im Einklang mit seinen konservativen Grundzügen und der exklusiven Gesellschaft, in der er sich bewegt. So auch Dr. No’s „Gästezimmer“, dessen Inneneinrichtung und Kleidung eine Kreuzung aus chinesischer und westlicher Gestaltung sind, so wie ihr Wirt eben auch. Den „Konferenzraum“ gestaltete Ken Adam als Metapher für Dr. No’s „Schreckensherrschaft“. Auf einen kleinen, wackeligen Stuhl muss sich der Untergebene wie der Angeklagte vor einem Gericht vor einer gottähnlichen Stimme aus dem Off verantworten. Die Schatten, die das Gitterfenster auf den Bereich um den Stuhl werfen, symbolisieren das Dr. No’s Untergebene freie Sklaven sind.
DN ist ein einfach gestrickter Film. Keine Subplots, Eindimensionale Charaktere – Bond und Dr. No ausgenommen – doch in seinem Strukturellen Aufbau sehr effektiv.
Die erste Sequenz – die Ermordung von Strangways – lässt uns mit offenen Fragen stehen (wer ist dieser Mann, das jemand ihn umbringen will; hat der Namensträger der Akte damit etwas zu tun; warum wurde er umgebracht), während uns gleichzeitig Wissen zugeteilt wird, über das der Protagonist noch nicht verfügt. Dieses Muster zieht sich die nächste Stunde durch den Film. Fortlaufend fügen sich weitere Informationen und Hinweise, die Bond sammelt, wie Stücke von einem Puzzle während wir Bond für Suspense-Szenen wie dem Spinnenbeischlaf einen Schritt voraus bleiben oder mit ihm von einer Wende überrascht werden – Quarell und Leiter. Charakter prägend ist es dann, wenn Bond uns aufholt und das doppelte Spiel von Miss Taro schamlos ausnutzt, oder wie er Anfangs auf das Angebot des „freiberuflichen Chauffeurs“ reagiert. Es fehlt der konventionelle Zwischenschritt der gewöhnlichen Protagonisten, die erst solch ein Risiko eingehen würden, nachdem ein Ereignis ihnen klar macht, das sie ohne Risiko und Konsequenzen ihr Ziel nicht erreichen können. Dies zeigt sehr wirkungsvoll, dass Bond kein gewöhnlicher Mann ist, sondern ein Profi in seinem Geschäft.
Mit der Überfahrt auf Crab Key ändert sich die Struktur in einen strengen POV von Bond. Die Spannung nährt sich nunmehr kurzweilig von Konflikten die Bond vermehrt entgegensteht. Interessant ist, dass Bond in DN mit zunehmender Gefahr Mutter Natur immer näher kommt. Die exklusiven Clubs, sein Appartement und M’s Büro sind Bonds sichere Heimat und auch in Jamaika stellt sein üppiges Zimmer, die Clubs, das Kolonialhaus einen sicheren Ort dar. Kommt Bond in einen Lebensbedrohlichen Konflikt, zeigt die Natur ihre hässliche Spinnenfratze, oder umringt ihn in Form von staubiger Erde, dicht zugewachsenen Bergen und schließlich der Insel, die dem Luxus mit ihren Mangroven ferner ist als alles zuvor. Kurz: umso größer die Gefahr wird, desto dreckiger wird es. Die Ironie ist dann Dr. No’s exklusives Quartier, in dem sich Bond, im sichtbaren Gegensatz zur Naturgebundenen Honey, gleich sicher fühlt. Es schließt den Bogen des Films. Am Ende ist nicht die Spinne, die in Bonds sicherer Hochglanz-Herberge eindringt die größte Gefahr, sondern solch ein Ort selbst, während die schmutzigen Mangroven Freiheit und Leben bedeuten.
Der Antagonismus ist neben der obigen Entwicklung auch in seiner Quelle, Dr. No, besonders gut gelungen. 90 Minuten lang zeugt sich von Dr. No das Bild einer Bestie, vor der seine Untergebenen so große Furcht verspüren, dass sie lieber den Freitod wählen und die ihre Opfer auf so makabere Weise wie einen Spinnenbiss zu töten versucht. Die Überraschung ist dann Dr. No’s tatsächliches Auftreten als Hochintelligenter Mensch der sich als verkanntes Genie von der Welt betrogen fühlt. In dem tollen Dialog mit Bond erkennt man Augenblicklich die Gerissenheit dieses Mannes im ganzen Film zurück. Seine Methode des „Konferenzraums“ um seine Untergebenen durch Angst zu drillen, die Spinne um Bond ohne lästige Nachermittlungen zu beseitigen und der vermeintliche Drache um die naiven Einwohner fernzuhalten. Sein Abgang ist genauso stark wie sein Auftritt. Dem geistig überlegenen Dr. No wird sein Zitat „entbehrlicher Preis für die Forschungen“ zum letztendlichen Verhängnis.
Trotz der Struktur trägt DN an vermeidbaren Story-Löchern Buße. Ob es Sylvia Trenchs Besuch bei Bond ist (welchen man noch geschickt mit Bonds Kommentar zu lösen versuchte); Bonds erstauntes Gesicht als M ihn vom Verschwinden Strangways erzählt, obwohl er dank Monneypenny schon im Bilde ist; seine völlig Grundlose Flucht vor einem Leichenwagen; oder das Tunnelsystem der Qualen, das dem Zuschauer als größtes Loch entgegenklafft, da es in keinerlei sinnvollem Kontext steht. Der Grund ist schnell bei der Anzahl der Autoren gefunden. Der Dialog mit Monneypenny sah vorher anders aus; es muss einen Dialog zwischen Bond und einem Club-Freund von Strangways oder dem Gouverneure gegeben haben, in dem die Rede von einem schwarzen Leichenwagen war, der nach Strangways verlassen des Clubs davon fuhr; und der Tunnel muss aus einem sinnvollen Kontext entfernt worden sein.
Verschenktes Potential ist die Exposition die aus Bonds Dialog mit Honey über ihr Leben hervorgeht, in der uns das Bild einer von der Männerwelt verletzten, einfachen Seele präsentiert wird, und die mit Honeys Frage nach Mrs. Bond bedeutungslos wird. Eine von Bond allein ausgehende, schrittweise „Bekehrung“ (was der sensible Kuss auf die Wange in Dr. No’s Gästezimmer durchaus darstellt) hätte eine nette Charakterentwicklung in dieser letzten Etappe ergeben und umso mehr von Bonds Potenz gezeugt.
Nicht nur Ken Adam sondern auch Terence Young verstand es um Bond einen Mythos aufzubauen. Seine Einführung von Bond ist unvergesslich cool und Charakter prägend. Die Aufnahme von Sylvia Trenchs nackten Beinen im Fordergrund und einen Schussbereiten, knienden Bond im Hintergrund sind das Sinnbild der sexuellen Aura der Filmreihe, das man gar nicht in Worte fassen kann. Genauso weiß er auch die Kehrseite von Bonds Leben zu fotografieren. Seine Kämpfe sind schnell und hart, der Wechsel zwischen Nah und Halbtotalen Aufnahmen ein schlagartiger Austausch. Die hart gezogene Schärfe der Großaufnahme von Bonds geschundenem Gesicht im Tunnel ist das visuelle Äquivalent zur zunehmenden Gefahr in der Story.
Hunts Schnitt zeigt eine selten gesehene Schnelle und Härte. Er verbindet die Story für den Zuschauer visuell – die Überblende von Dr. No’s Akte auf die Aufnahme vom Houses of Parliament als Symbol für London und die englische Regierung über der sekundenlang der Namenszug zu lesen ist gibt uns einen Zusammenhang vor – und verbindet Ereignisse in ihr direkt – von Dr. No’s „Konferenzraum“ zu Bonds Ankunft im Hotel; wo sonst ein Establishing Shot vom Hotel gebraucht wird, oder weit aus schlimmer gar Dents Rückfahrt mit ein Paar kurzen Aufnahmen gezeigt worden wäre, wird Ton und Bild sehr hart abgeschnitten – gleich kommt’s zur Sache!
DN profitiert von der dichten Atmosphäre einer einzigen Location, die John Barry mit lokaler Musik verstärkt, in der Ken Adam ein noch reales Larger-than-Live Gefühl aufbaut und Terence Young die unverhüllte Kehrseite von Bonds Leben und seinem Charakter zeigt, dessen gewaltvolle Welt ein Teil seiner Persönlichkeit ist und sich in Bonds Selbstjustiz an Dr. Dent äußert, für dessen Einbindung im Film Young kämpfen musste.
Einer meiner Favoriten!
7,5 von 10 Punkten
Zuletzt geändert von
007James Bond am 2. Januar 2010 14:38, insgesamt 1-mal geändert.