Würde man William Friedkin auf Klassiker von ihm wie "French Connection", "Atemlos vor Angst" oder "Leben und Sterben in L.A." reduzieren, man könnte glatt denken, er sei einer der wichtigsten US-Vertreter des rustikalen Männerkinos. Da wird mit Autos schnell über die Highways gehetzt, da klingen Nachladegeräusche von Schwusswaffen so laut wie ihr abfeuern und da muss auch mal mitten im Urwald bei heftigstem Gewitter ein schwer beladener Laster über eine sehr labile Brücke regelrecht gehievt werden. Aber wird man Friedkin als Regisseur und Künstler wirklich gerecht, wenn man ihn auf die harten Seiten seiner Stoffe beschränkt?
Ein Beispiel: In seinem 1980 erschienenen harten Thriller "Cruising" geht es um die Jagd nach einem New Yorker Serienmörder, der sich explizit in der S&M-Schwulenszene herumtreibt und homosexuelle Männer ermordet. Gejagt wird dieser Mörder von einem Polizisten, den Al Pacino verkörpert. Schon während der Dreharbeiten kam es zu heftigen Protesten aus der homosexuellen Szene, inklusive Aufrufen, die Dreharbeiten absichtlich zu behindern. Pacino äußerte sich in mehreren Interviews selbst überaus ambivalent und kritisch zum fertigen Film, gerade unter Berücksichtigung der Protestbewegung. Als Friedkin selbst von einem Reporter auf diese Sichtweisen seines Stars angesprochen wurde, antwortete er nur: "I don't give a flying fuck into a rolling donut about what Al Pacino thinks."
War Friedkin also als Mensch wirklich so, wie ein erster oberflächlicher Blick auf seine Filme vermuten lässt? Nun ja: "Cruising" mag damals kontrovers gewesen sein, entwickelte sich aber ironischerweise gerade in der Schwulenszene in den Folgejahren und -jahrzehnten zum aufrichtig geschätzten Kultfilm. Und der Presse ging damals durch die Lappen, dass Friedkins grober Spruch in Richtung Pacino nicht einfach nur eine Ausfälligkeit war, sondern sehr feinsinnig ein intelligentes Zitat aus Kurt Vonneguts weltliterarischem Meisterwerk "Schlachthof 5 oder Der Kinderkreuzzug" abwandelte.
So einfach in eine Schublade stecken, lässt sich der gefeierte Regisseur, dessen größte künstlerische Triumphe in den 70ern stattfanden, also nicht. Friedkins größte Bewunderung galt den Pariser Autorenfilmern der Nouvelle Vague. Über seine Filme sagte er mal selbst, es ginge ihm stets um den "schmalen Grat zwischen Gut und Böse", er glaube nicht an "die reinen Helden oder die reinen Schurken". Allerdings konnte der selbsterklärte Provokateur auch nicht anders, als diesem Statement noch anzufügen, es habe die reinen Schurken natürlich schon gegeben: "Hitler zum Beispiel war so jemand. Aber auch in dem Fall haben es Leute um ihn herum ja ganz anders gesehen. Und war er nicht furchtbar nett zu seinem Hund? Und hat er nicht Eva Braun am letzten Tag seines Lebens geheiratet?"
Friedkin begann seinen Weg durch die Arbeitswelt in der Poststelle eines Chicagoer Lokalsenders, wurde aber schnell zum Macher von Dokumentarfilmen. Schon da liebte er die Kontroversen: Bereits sein erster Dokumentarfilm namens "The People vs. Paul Crump" handelte 1962 von einem Insassen, der seit acht Jahren in der Todeszelle ein Dasein fristete. Direkt gewann Friedkin den Golden Gate Prize des San Francisco International Film Festivals ein – und der Insasse Paul Crump erreichte durch den Film, dass aus der ursprünglich gegen ihn verhängten Todesstrafe nur noch eine lebenslange Haftstrafe gemacht wurde.
Im Spielfilmfach begann er mit Komödien. Der etwas alberne Western-Ulk "Good Times" mit Sonny and Cher war noch nicht der Rede wert, doch seine Musikkomödie "Die Nacht, als Minsky aufflog" suchte 1968 schon die brisanten Themen, hier die Erfindung des Striptease. 1970 wagte er sich mit seinem ersten Drama "Die Harten und die Zarten" bereits unverblümt in die Homosexuellenszene, ehe 1971 auf dem Höhepunkt des New Hollywood sein Durchbruch kam: "French Connection", ein geradezu dokumentarisch inszenierter Polizeifilm, der fünf Oscars gewann, unter anderem für den besten Film und die beste Regie. Er machte Friedkin zu einem Regie-Star. Zwei Jahre später übertraf er seinen kommerziellen Erfolg noch einmal selbst: Sein "Der Exorzist" über ein dämonisch besessenes Mädchen wurde zehnfach oscarnominiert und gilt bis heute als einer der unheimlichsten Filme aller Zeiten.
"Der Exorzist" war so erfolgreich, dass er für seine Weggefährten Steven Spielberg und George Lucas selbst zu einem wichtigen Idol wurde. Friedkin gelang es als erster Regisseur, einen Film zu drehen, der ein Einspielergebnis von mehr als 100 Millionen US-Dollar erzielen konnte. Danach konnte sich das Regie-Wunderkind freimütig Projekte auswählen, doch der große Triumph über Kritik und Publikum stellte sich nicht mehr ein. Sein "Atemlos vor Angst", ein Remake des französischen Klassikers "Lohn der Angst", floppte übel, und wurde u.a. vom parallel laufenden Überhit "Star Wars" verdrängt. Auch seine später erschienenen Klassiker "Cruising" und "Leben und Sterben in L.A." erhielten ihren Status erst im Nachhinein.
Lange Zeit musste er sich im Fernsehen mit kleineren Sachen verdingen, drehte aber u.a. auch ein Remake des 50er Jahre Klassikers "Die 12 Geschworenen" und stellte dafür eine echte Starbesetzung zusammen, von Jack Lemmon über George C. Scott und Armin Mueller-Stahl bis zu James Gandolfini. In den 2000ern gelang ihm mehr und mehr die Kino-Rückkehr, doch den ganz großen Film machte er nicht mehr. Die letzten Jahre seines Lebens arbeitete er an einem Traumprojekt: "The Caine Mutiny Court-Martial". 2023 erblickte dieses Projekt nach vielen Jahren harter Arbeit und vieler Kämpfe durchs moderne Hollywood-Studiosystem das Licht der Welt – allerdings einige Wochen zu spät, um noch vom Macher selbst gesehen zu werden. Friedkin verstarb am 7. August 2023 in Los Angeles an einer Lungenentzündung. Er wurde 87 Jahre alt.
In eine Schublade passt er nicht, sein Werk sogar noch weniger. Er lotete die Grenzen des Genrekinos aus, er zeigte seinen Produzenten, wie man das Undenkbare umsetzen kann und betrat dabei immer wieder das vielseitige Reich der Avantgarde. "Filmemacher leben davon, die Grenze zur Ethik zu brechen", soll er in jungen Jahren schon festgestellt haben. Das Kino war für ihn ein Medium der Konfrontation. So sind seine Filme dominiert von Männeregos, von heizenden Karren, von schnellen Schusswechseln oder teuflischen Begegnungen, aber Friedkin stellt seine Inhalte nie aus, er kämpfte mit ihnen.
Vor seiner Zeit als Spielfilmregisseur arbeitete er an der TV-Serie "Alfred Hitchcock Presents" und traf bei einem Dreh auf Hitchcock in Person, den er als großes Idol sah. Als der Meister das Studio betrat, um seine Anmoderation einzusprechen, war der einzige Satz, den er an den jungen Mann auf dem Regiestuhl richtete: "Mr. Friedkin, Sie tragen gar keine Krawatte." Aber Friedkin rächte sich. Als er nach seinem "French Connection" bei einer Veranstaltung der Director's Guild of America erneut auf Alfred Hitchcock traf, ging er zu dessen Tisch, hielt ihm seinen Schlips unter die Nase und brüllte ihm laut hörbar für alle Anwesenden ins Gesicht: "Na, wie gefällt dir die Krawatte, Hitch?"
Friedkin lebte ein Leben für das Kino. Verfolgungsjagden bewunderte er am meisten. Sie seien das eine erzählerische Element, welches nur auf der Leinwand echte Form annehmen könne. In der Literatur hätten diese nie die nötige Kinetik, um sie direkt erlebbar zu machen. Als Regisseur war ihm das vollumfängliche Erlebnis wichtig. Detailversessen knobelte er mit seinen Editoren die Montagen aus, ekstatisch soll er die Tonbearbeiter mit aller Kraft dabei unterstützt haben, auch akustisch jede Szene zum Optimum anzutreiben. Seine Liebe für den Film gab er so als Pionier des New Hollywood an die nächste Generation weiter. Als "Der Exorzist" 1973 ins Kino kam, saß ein 10-jähriger Junge – natürlich verbotenerweise – im Lichtspielhaus und hatte zwar eine Heidenangst, aber war von da an für immer an das Kino verloren. Neunzehn Jahre später drehte dieser Junge, Quentin Tarantino, mit "Reservoir Dogs" seinen ersten eigenen Kinofilm.
Kino als Medium der Konfrontation – Die Filme des William Friedkin
1https://filmduelle.de/
https://letterboxd.com/casinohille/
Let the sheep out, kid.
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