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von Casino Hille
'Q Branch' - MODERATOR
Marvels Ant-Man
Zwölf Filme in sieben Jahren: Das muss den Jungs vom Marvel Cinematic Universe erstmal einer nachmachen. Neben dem zweiten großen Crossover der Avengers-Heldentruppe wirkt ihr zweiter Streich 2015 "Ant-Man" allerdings ein paar deutliche Nummern kleiner und man orientierte sich sichtbar am Erstling des Franchises: "Iron Man". Nicht nur, dass die Handlung recht ähnlich aufgebaut ist und die Filme einige Charaktere beinahe identisch haben, reduziert man die heftigen Bombastanteile eines "Age of Ultron" hier merklich auf ein Minimum und Regie-Neuling Peyton Reed mischt zur bescheideneren Ausrichtung zudem ein nötiges Maß an komödiantischen Einlagen hinzu, wobei der Humor deutliche Ähnlichkeiten zu Marvels 2014er Sci-Fi-Hit "Guardians of the Galaxy" aufweist. So wirkt "Ant-Man" zwar auf den ersten Blick in der Tat frischer, ist auf den zweiten dann allerdings leider doch nur noch halb so interessant.
Was an "Ant-Man" hervorragend funktioniert und das ohne wenn und aber, ist die Inszenierung der Fähigkeit des Helden. Obwohl das Schrumpfen auf Ameisengröße schnell hätte peinlich werden können, bekommt Reed es ansprechend hin, mit durchaus gelungenen Effekten, die nicht immer hundertprozentig echt wirken, dies allerdings auch gar nicht müssen, das ganze immerhin glaubhaft dem Publikum zu verkaufen. Und auch wenn das Kontrollieren von Ameisen nach pubertierendem Unsinn klingt, funktioniert die etwas verrückte und abgedrehte Flohzirkusnummer erstaunlicherweise. Das ganze glückt vor allem aber deshalb, weil Hauptdarsteller Paul Rudd als Protagonist ähnlich wie Chris Pratt in "Guardians of the Galaxy" einfach einen ganz eigenen Charme hat und einem schnell sympathisch wird und weil er mit seinen Reaktionen auf so manch bescheuerten Einfall dem Zuschauer gerne aus der Seele spricht. Überhaupt ist er der Hauptgrund für alles, was an "Ant-Man" funktioniert, sämtliche wirkenden Gags und Slapstick-Einlagen laufen praktisch vollständig über und mit ihm und auch die besten Momente der Actionszenen sind stets die, in denen man (meist durch seine Kommentare) seine Reaktionen auf alles erfährt. So macht Ant-Man verständlicherweise in der ersten Hälfte, die hauptsächlich den Charakter einführt, etwas mehr Spaß als im zweiten actionlastigen Teil, obwohl auch dieser handwerklich auf gewohnt hohem Marvel-Niveau inszeniert ist.
Wie oben erwähnt, alle funktionierenden lustigen Szenen funktionieren durch Rudd. Leider gibt es eben aber auch nicht funktionierende Szenen. Denn während das Entdecken der Schrumpffähigkeit an sich einige wirklich witzige Ideen bereithält, gibt es - wie schon beim Guardians-Film - ganze Charaktere oder Szenarien und auch wieder ein eigenwilliger Musik-Einsatz, wobei alles einzig und allein auf plumpe Lacher abzielt, nur dass dieser Streich beim zweiten Mal nicht mehr so wirklich aufgeht. Überhaupt sieht es auf charakterlicher Ebene dieses Mal erheblich düster aus. Der großartige Michael Douglas wirkt in seiner Standard-Mentoren-Rolle durchgehend unterfordert und die bezaubernde Evangeline Lilly als Love Interest wirkt aufgrund ihrer argen Belanglosigkeit für die Handlung sogar noch austauschbarer als eine Natalie Portman in "Thor". Dass mit diesem Background auch die dramatischeren Töne dieser beiden Charaktere (anders als der Handlungsstrang rund um Ant-Mans Tochter, der zu Herzen geht) sich nicht so recht einfügen, ist wohl kein allzu großes Wunder. Richtig schwach ist aber vor allem ein merklich aufgesetzt agierender Corey Stoll, der sich mit einem Gesichtsausdruck durch den Film manövriert und praktisch 1:1 Jeff Bridges "Iron Man"-Schurken kopieren darf, ohne selbstverständlich (auch dank der mies geschriebenen Rolle) je in einer Liga mit Bridges spielen zu können.
Dafür ist das Drehbuch beim zwölften Marvel-Abenteuer überraschend überzeugend, ohne viel neues zu bieten. Denn trotz der Tatsache, dass man das meiste an Handlungselementen und Konstellationen schon einmal gesehen hat, funktioniert dies im kleineren und weniger bombastischen Umfeld merklich besser als beim überfrachteten letzten Avengers-Blockbuster. Und an der ein oder anderen Stelle geht der Film sogar mal ein paar neue Wege und hat eine Handvoll wirklich cleverer Einfälle, auch wenn die letzten 10 Minuten viele Zuschauer als zu dick aufgetragen empfinden werden, so muss man doch festhalten, dass sich die beinahe schon Heist-Movie-artige Herangehensweise an "Ant-Man" in gewisser Hinsicht bezahlt gemacht hat. Allgemein dürfte Reeds Film der erste Schritt in die richtige Richtung sein, um Marvel zu signalisieren, dass nur (noch deutlich mehr!) Abwechslung ihr Franchise am Leben erhalten wird, gerade der minimalistische Showdown wie hier gezeigt macht dorthingehend vieles richtig. Was dafür jedoch immer nerviger wird, sind die erzwungenen Verweise auf andere Marvel-Filme. So wirkt eine recht lange Sequenz, die durch den Gastauftritt eines Avengers bestimmt wird, reichlich erzwungen und unnötig in die Handlung gepresst, wie auch mehrere Gastauftritte und Referenzen keinesfalls nötig gewesen wären.
Fazit: "Marvels Ant-Man" ist ein Film, der recht gelungen mit seinen handlungseigenen Albernheiten umgeht, dabei aber selbst ein paar zu viele davon einbaut und insgesamt den richtigen Ton zwischen Drama und Humor nicht immer trifft, aber weit davon entfernt ist, nicht durchgehend unterhaltsam zu sein. Gerade in seiner Wirkung und Ausrichtung erinnert er daher qualitativ etwas an den ersten Film der "Thor"-Reihe. Visuell macht er außerdem so richtig was her und dank Paul Rudd, der als einziger Schauspieler wirklich prägnant aufzufallen weiß, bietet Marvel erneut familienfreundliche und seichte Abend-Unterhaltung, die sich noch ein bisschen mehr hätte trauen dürfen. Damit ist "Ant-Man" irgendwie ein wenig die filmische Ausgabe eines Schülers oder Studenten, welcher bei der Notenbesprechung die Warnung vom Lehrer bekommt, dass die bisherigen Leistungen "gerade noch ausreichend" seien. Nun gilt es für Marvel daher 2016 besonders eines: Den Anschluss nicht zu verlieren.
6/10
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Let the sheep out, kid.