Matrix Reloaded
Bereits bevor 2003 - und damit vier Jahre nach dem Vorgänger - die erste Fortsetzung zum Science-Fiction-Meisterwerk "Matrix" in die Kinos kam, wurde von Filmfans auf aller Welt kein gutes Haar an den beiden bevorstehenden Sequels gelassen. Die Erwartungen waren, spätestens als sich der erste Teil als Revolution des Mediums herausstellte, astronomisch hoch und so wunderte es niemanden, als die Regisseure Laurence und Andy Wachowski sowie Produzent Joel Silver von der versammelten Kritikerelite in Grund und Boden vernichtet wurden. "Matrix Reloaded" sei zu lang, zu kompliziert, zu selbstverliebt... tatsächlich aber ist Matrix 2 wohl eher perfekt dosiert, komplex aufgebaut und ästhetisch. Und damit der würdigste Nachfolger, den man sich hätte wünschen können.
In jeder Hinsicht baut "Matrix Reloaded" auf dem Erfolgsrezept des Vorgängers auf, nur immer mit einer zusätzlichen Ergänzung. Wie bereits in "Matrix" nehmen sich die Wachoswki-Brüder fast eine Stunde Zeit, alle Charaktere neu in Stellung zu bringen, die neuen Ausgangssituationen zu etablieren (den unbesiegbaren gottgleichen Neo, die Zerstörung Zions etc.) und gleichzeitig die Entwicklung der Charaktere aufzuzeigen. Bereits in dieser langen Zeitspanne aber ist es ihr Gespür für Szenenlängen, der epische und brachiale Look in Kombination mit dem mutigen und ungewöhnlichen Soundtrack und die ersten kurzen Actionmomente, die "Matrix Reloaded" auf ein höheres Niveau als die Konkurrenz heben. Doch was auf die Exposition folgt, lässt sich kaum in Worte fassen: mit dem erneut grandios geschriebenen Auftritt des Orakels und der Wiedergeburt von Hugo Weavings Agent Smith beginnt ein Actionfeuerwerk, dass es in sich hat, einen Höhepunkt auf den anderen kommen lässt und dazwischen philosophisch-bedeutsame Themen so geschickt mit dem Plot verpackt, dass die Erläuterungen niemals oberlehrerhaft wirken, sondern sogar verständlich (aber nicht zu vereinfacht) ankommen und gleichzeitig zur Spannung und Intensität einer Szene beitragen. Grandios!
Die Handlung selbst ist eigentlich furchtbar simpel. Neo muss eine Geisel retten, mit dieser eine verborgene Tür öffnen und dann den Computer der Maschinenwelt abschalten. Doch bereits in Teil 1 war der Aufhänger für das monumentale Finale einfachster Natur. Wirklich beeindruckend ist viel eher, welche Themenvielfalt die Wachowskis in diesem Film verpackt haben. Bereits in der Exposition geht es um die Abhängigkeit des Menschen von den Maschinen, aber auch im umgekehrten Verhältnis, was später aber vergessen wird, wenn das Script noch tiefgründiger wird. Das Orakel spricht davon, dass der Auserwählte eine Entscheidung wird treffen müssen, die er aber bereits getroffen hätte. Doch nur kurz darauf begeistert "Matrix Reloaded" mit einer seltenen Dialogperle des Blockbusters: dem Auftreten von Lambert Wilson als Merowinger. Seine philosophischen Exkurse über die Kausalität und das Verhältnis von Aktion - Reaktion sind nicht nur ungemein nährreich und auf den Punkt gebracht geschrieben, sondern auch noch für den Film ein spannender Wendepunkt, der das vorher aufgebaute direkt in Frage stellt. Und wenn dann im Showdown der wunderbare Helmut Bakaitis in einem facettenreichen und vielschichtigen Monolog die wahre Bestimmung des Auserwählten offenbart, dann ist zwar nicht alles was er sagt beim ersten Mal verständlich und nur das in dem Moment wirklich bedeutsame klar formuliert, doch lohnt sich speziell diese Szene zum mehrfachen Anschauen, so viele verschiedene Deutungsmöglichkeiten stecken in ihr, von Anfang an aufgelockert durch die Aussage, Neo (und damit der Zuschauer) würde ohnehin das Folgende nicht vollständig verstehen. "Matrix Reloaded" hat wie eine Zwiebel Schichten, die man nach Lust und Laune interpretieren kann. Ansätze dafür gibt es en masse.
Nun hat sicher nicht jeder Zuschauer aber Lust auf eine komplexe Auseinandersetzung mit all diesen Themen. Doch "Matrix Reloaded" überfordert sein Publikum niemals. Denn auch in den tiefgründigsten Metaphern bleibt das auf Handlungsebene geschehende immer klar verständlich und zielgerichtet. Außerdem gibt es da ja noch einen anderen Aspekt: die Action. Praktisch immer auf einen langen komplizierten Dialog folgt eine große Actionsequenz. Und auch hier folgt das Sequel sklavisch dem Vorgänger, denn Action ist bei den Wachowskis nicht einfach nur abgefilmtes Handeln. Jede Aktion kommt einem Tanz gleich. Die Kung-Fu-Kampfszenen sind organisch, lebendig und elegant, die Effekte ergänzen perfekt die echten Aufnahmen, die visuellen Spielereien reichen von großzügig eingesetzten Zeitlupen bis hin zu Bullet-Time-Einsätzen. Aber sogar in der Action, besonders in den drei größten, jeweils 15-minütigen Szenen, hört die Symbolik nicht auf. Smith wird als gefallener Engel inszeniert, Neos Wandel vom Auserwählten zum Märtyrer in den Bildern deutlich gemacht, Autokennzeichen in der famosen Autoverfolgungsjagd verweisen auf Bibelverse, die die Handlung betreffen. Es ist Detailverliebtheit im Zusammenspiel mit dem Mut, bei diesem Film noch einen Schritt weiterzugehen, in der Philosophie über den Tellerrand hinaus zu schauen und sogar am Ende den christlichen Gott in seinem Umgang mit den Menschen des alten Testamentes zu kritisieren. Die Wachowskis setzen auf ästhetisches Kino und übertreffen sich und ihr vorheriges Schaffen dabei sogar selbst.
Fazit: Wo dem Rezensenten die Worte ausgehen, fängt "Matrix Reloaded" erst an. Für die einen bietet das erste Sequel der Matrix-Reihe einfach nur optischen Bombast und ästethisch zelebriertes Actionkino der modernsten Art und Weise, das intellektuellere Publikum findet in all den Themen zusätzlich jedoch so viel mehr, dass man ganze Abhandlungen über die verschiedenen Verständnisebenen schreiben könnte. Was man "Matrix Reloaded" in der Tat vorwerfen könnte und weshalb er bei vielen wohl auch so scheiterte, ist natürlich, nicht denselben Überraschungseffekt erzielt zu haben, wie der Vorgänger. Doch entweder will man etwas völlig anderes, dann ist eine Fortsetzung überflüssig oder eine konsequente Weiterentwicklung. Und wenn "Matrix" die Revolution des Blockbusters war, ist "Matrix Reloaded" der Prototyp einer neuen Ära.
10/10
Re: Der Wachowski Thread
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Let the sheep out, kid.
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